WS 1995/96 Med. HS: "Jenseitsdarstellungen des Mittelalters in Text und Bild"
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Referent: Florian Pillau

Das Muspilli

I. Das Weltgericht, anschaulich gemacht durch gerichtliche Terminologie
II. Der Weltuntergang (50-62)
III. Jenseitsdarstellung

1817 entdeckt, ist uns das "Muspilli" in einer einzigen Fassung bekannt. Es befand sich in einer Handschrift aus dem Besitz Ludwigs des Deutschen (clm 14098, aus St. Emmeram 821-827.). Heute ist ein Fragment dieses Werkes, auf denen sich auch das "Muspilli" befindet, in München (cim. 21). Es ist auf den freigebliebenen Seiten 61r, 120v, 121rv und den unteren Rändern der Seiten 119r und 120r später eingetragen worden. Wohl beim Zusammenbinden mit einer anderen Handschrift sind Anfang und Schluß verlorengegangen. Die Schrift ist ungewöhnlich unbeholfen.
Datiert wird es auf das spätere neunte Jahrhundert.
Ein Autor ist nicht bekannt.

Es ist eines der wenigen ahd. Stabreimgedichte, die Form ist aber nicht konsequent durchgehalten. Man findet unvollständige Verse, unregelmäßige Stabverteilung, Mischformen aus Stab- und Endreimversen. Je nach Erschließung zählt man zwischen 103 und 105 erhaltene Verse.
Die Sprache ist vorwiegend bairisch, aber mit südrheinfränkischen Einsprengseln.

Unmittelbar übertragene christliche Quellen lassen sich nur für wenige Stellen ausmachen. Es ist immerhin möglich, ein einheitliches Vorbild anzunehmen: G. Grau weist den Prediger Ephraem den Syrer für alle bis auf zwei Zeilen als Grundlage nach. (G. Grau, Quellen und Verwandtschaften der Älteren germanischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes, Halle 1908). Alle eschatologischen Vorstellungen dieser Dichtung waren zur Entstehungszeit allgemein bekannt und die Drohung mit dem Jüngsten Gericht geradezu modern. Im Mittelalter war Elias die Verkörperung tugendhaften Lebenswandels. Die Ausschmückung biblischer Legenden im Stile von Predigten war üblich.

Das Wort "muspilli" ließ sich etymologisch aus dem Altnordischen, dem Lateinischen und dem Althochdeutschen herleiten, ohne daß sich eine verbindliche Bedeutung herausstellen würde.

Inhalt:
Engel und Teufel streiten um die Seele des verstorbenen Menschen (7). Zur näheren Darstellung, wohin die Seele dann kommt: Schilderung der Hölle und des Himmels. (1-30).

Weltuntergang nach dem Kampf Elias' mit dem Antichristen (31-72). Alle müssen erscheinen, (36) dann beginnt das Ordal. Elias kämpft für Gott, der Antichrist für Satanas. Wenn Elias' Blut auf die Erde tropft beginnt der Weltuntergang (50). daran schließt sich eine Art Resumee über das richtige Verhalten, insbesondere Bestechung betreffend. (64-72)

Jüngstes Gericht wird gehalten und Jesus erscheint. (73-103). Das himmlische Heer holt ganz ausnahmslos Lebende und Tote vor Gericht (84), wo niemand etwas verbergen kann (96). Wer ohne Schuld ist oder gebüßt hat hat nichts zu befürchten (99). Das Kreuz Christi wird vorgetragen.

Außer allgemein zur Umkehr zu mahnen wendet sich dieses predigthafte Gedicht direkt an die, die es sich leisten konnten, weltliche Gerichte zu bestechen (Mohr, in W. Mohr und W. Haug, Zweimal "Muspilli" Tüb. 1977, S.22) oder gar sich bestechen zu lassen ("denner mit den miaton marrit daz rehta" und "Ni scolta manno nohhein miatun intfahan.", 67u.73), also eine weltliche Oberschicht, an die sich ja auch nur die Frage nach dem Land, um das man mit seinen Magen stritt, richten konnte.

I. Das Weltgericht, anschaulich gemacht durch gerichtliche Terminologie

II. Der Weltuntergang (50-62)

Motive:

Die Berge brennen, die Bäume vernichtet, Flüsse vertrocknen, das Moor verschlingt sich, der Himmel verbrennt, der Mond fällt, das Universum brennt, kein Stein wird bleiben (bzw. keine Eiche, s. Haug, S.45: unter best. Eichen wurde Gericht gehalten. Haug verweist auf die juristische Formel "solange Eich und Erde steht". Ganz anders liest Minis; C.Minis, Handschrift, Form und Sprache des Muspilli, S.71: "denni kisten teikin erdu, uerit denne tuatago in lant" also "wenn diese Zeichen auf der Erde erscheinen, kommt das Jüngste Gericht", eine apokalyptische Vorstellung), das Erdreich verbrennt, der Feuersturm fegt alles weg (51-59). Das Gericht kommt mit Feuer die Menschen besuchen. (56).

Stil:

Es wird versucht, in dieser Aufzählung die Motive zu Stäben zu machen (was nicht immer gelingt).

Daran schließt sich eine rhetorische Frage: "wo ist dann das Land, um das man zusammen mit den Verwandten kämpfte?" (60), die beantwortet wird mit einem ganz formelhaften, stablosen Vers, der endgereimt ist: "Diu marha ist farprunnan, diu sela stet pidungan." (61).

Hier muß man wohl von einem Kunstgriff ausgehen und kann annehmen, der Verfasser zitiert etwas Bekanntes, Sprichwörtliches. Es gilt ja als wahrscheinlich, daß der Dichter die alte Stabreimtechnik nur nachahmt und durch die Kenntnis des Lateinischen endgereimte Verse gewohnt ist..(Grau S. 254ff.)

III. Jenseitsdarstellung

Inventar der Hölle:

peh (5), Satanazses kisindi (8), fuir enti finstri (10), hella fuir (21), pehhes pina, Satanas altist (22), heizzan lauc (23), uinstri (25).

...des Himmels:

heri fona himilzungalon (4), engilo (12), lip ano tod, lioht ano finstri, / selida ano sorgun, dar nist neoman siuh. / ...in pardisu pu..., / hus in himile,...hilfa kinuok (14-17).

Stil:

Als Stilfigur könnte man vielleicht "peh" ansehen, dann wäre es ein pars pro toto, das für die Hölle steht.

Cum grano salis ein Oxymoron weil Feuer und Finsternis sich ausschließen ist "fuir enti finstri". Natürlich ist es auch eine Alliteration, ebenso wie "pehhes pina".

Außerdem steht es im Gegensatz zu "lioht ano finstri" in der Schilderung des Himmels.

"Satanas altist" ist ein Bibelzitat (Apc.Joh.20:"...die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan,...").

"himilzungalon" ist, wenn man Grau (S.257) folgen will, eine bewußt benutzte, altertümelnde Form.

"lip ano tod, lioht ano finstri, / selida ano sorgun, dar nist neoman siuh. / ...in pardisu pu..., / hus in himile,...hilfa kinuok." (14, 15) hat u.A. eine Parallele in einer Musterpredigt des achten Jhd., des Sermo VI des Bonifatius: "ubi lux sine tenebris et vita sine morte,

ubi est laetitia et gaudium sine fine...

salus sine aegritudine..."

(R.Cruel, Geschichte der deutschen Predigt im Mittelalter 1879, S. 17) Auch daß sich dieselbe Formel in Otfrids Liber Evangeliorum findet (Vers I, 18 ,9), ist ein Beweis für ihre Verbreitung, nicht für eine Übernahme aus dem Muspilli. Beide Autoren nutzten den Bekanntheitsgrad bewußt.

"...in pardisu pu..., / hus in himile,..." ist wieder Bibelzitat. Man kann so zahlreiche Belege für diese Formeln finden, daß man von (damaligem) Allgemeingut sprechen muß.

Je nach Lesart kann man eine pleonastische Variation des Motivs "Haus" sehen: "selida-pu-hus" (in 15, 16 und 17), oder man übersetzt "selida" (mit langem e!) mit "Glück", dann gewinnt man ein echtes Gegensatzpaar wie "lip ano tod" und vermeidet zu viele "Häuser".(s. Minis, S. 35 und Haug, S. 27)

Weitere Zitate:

"der dar suannan scal toten enti lepenten" (74a) und

"...der dar suonnan scal

enti arteillan toten enti quekkhen," (85, 86)

Das dürfte aus dem Glaubensbekenntnis kommen. Für Zitate spricht auch, daß diese Verse Prosa sind.

Einschlägige Bibelstellen:

Jes. 10: Weh denen, die unrechte Gesetze machen,..., die unrechtes Urteil schreiben, um die Sache der Armen zu beugen...

Jes. 11..., und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.

Apc. Joh. 19: Und die andern wurden erschlagen mit dem Schwert, das aus dem Munde ging des, der....

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WS 1995/96 Med. HS: "Jenseitsdarstellungen des Mittelalters in Text und Bild"
Stand: 13.05.1996