WS 1995/96 Med. HS: "Jenseitsdarstellungen des Mittelalters in Text und Bild"
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Referenten: Alexandra Fertig-Witke und Thomas Meier

Weltgerichtsdarstellungen auf Tympana

I. Vom Lesen mittelalterlicher Kunst
II. Die Apokalypse: Maiestas Domini
III. Die Apokalypse: Weltgericht
IV. Das Partikulargericht
V. Literatur

Das Tympanon bildet die halbrunde oder leicht angespitzte Bildfläche über dem Sturz des Kirchenportals.

I. Vom Lesen mittelalterlicher Kunst

Mittelalterliche Kirchenarchitektur ist nicht künstlerischer Ausdruck, sondern steingewordene Theologie. In den bedeutenden Kirchenbauten spiegeln sich oft komplizierte Weltkonzepte, die die Bauherren (meist Bischöfe oder Äbte) auch in ihren theologischen Schriften vertraten. Eine Analyse dieser Kunst erlaubt daher Rückschlüsse auf die Glaubenswelt des lateinischen Mittelalters, kaum jedoch auf den Volksglauben.

Vor allem die Romanik begreift den Kirchenbau als Abbild des himmlischen Jerusalem. Wie im Jenseits muß der Gläubige auch im Diesseits erst die Apokalypse durchschreiten, bevor er diesen Ort betreten kann. Zugleich korrespondiert der nach Osten ausgerichtete Kircheninnenraum (ex oriente lux) dem christlichen Leben in der Welt, das Gott entgegenstrebt.

II. Die Apokalypse: Maiestas Domini

Die älteren Tympana (1. Drittel 12. Jahrhundert) stellen das Ende der Zeit als Wiederkehr des apokalyptischen Christus dar. Nach Johannes gelangen zu diesem Zeitpunkt alle Rechtgläubigen direkt ins Himmelreich (Moissac, Chartres mittleres Westportal).

Merkmale:

Apk. 4,2-11:

Sogleich wurde ich im Geiste entrückt, und siehe, ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saß einer, und der darauf saß, war wie Jaspis und Sardisstein anzusehen, und ein farbenreicher Strahlenbogen war rings um den Thron, anzusehen wie Smaragd. Und im Umkreis des Thrones waren vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste, angetan mit weißen Kleidern, und auf ihren Häuptern goldene Kränze. Vom Thron gehen Blitze aus und Stimmen und Donner, und sieben Feuerfackeln brennen vor dem Thron, das sind die sieben Geister Gottes. Vor dem Thron ist es wie ein Meer von Glas, gleich dem Kristall, und in der Mitte vor dem Thron und rings um den Thron waren vier Wesen, voller Augen vorne und hinten. Das erste Wesen glich einem Löwen, das zweite Wesen glich einem Stier, das dritte Wesen hatte ein Gesicht wie das eines Menschen, und das vierte Wesen glich einem fliegenden Adler. Und jedes der vier Wesen hatte sechs Flügel, und ringsum und inwendig sind sie voller Augen. Ohne Aufhören rufen sie Tag und Nacht: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott, der Allherrscher, der war und der ist und der kommt." Und wenn die Wesen dem, der auf dem Throne sitzt und in alle Ewigkeit lebt, Lobpreis, Ehre und Dank darbringen, fallen die vierundzwanzig Ältesten vor dem Thronenden nieder, beten den in alle Ewigkeit Lebenden an, legen ihre Kränze vor dem Throne nieder und sprechen: "Würdig bist du, unser Herr und Gott, den Lobpreis zu empfangen und die Ehre und Macht: denn du schufst alle Dinge und durch deinen Willen waren sie und wurden geschaffen."

Joh. 5, 24-29:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer auf mein Wort hört und dem glaubt, der mich sandte, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod hinübergeschritten ins Leben. ... Wundert Euch darüber nicht, denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und es werden hervorgehen, die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die das Böse getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes.

III. Die Apokalypse: Weltgericht

Gegen Mitte des 12. Jahrhunderts verschiebt sich die Betonung der Apokalypse auf das Weltgericht, dem sich alle Menschen am Ende der Zeit zu stellen haben (Conques, Chartres Südportal). Gleichzeitig verliert die Apokalypse in der Theologie auch ihre Vorrangstellung und "die Menschen beginnen, sich auf der Welt häuslich einzurichten" (Le Goff).

Merkmale:

Apk. 20.11-15:

Und ich sah einen mächtigen, leuchtenden Thron und den, der darauf sitzt. Vor seinem Angesichte floh die Erde und der Himmel, und für sie fand sich kein Platz mehr. Ich sah die Toten, groß und klein, vor dem Throne stehen, und Bücher wurden geöffnet. Ein eigenes Buch wurde geöffnet, das ist das Buch des Lebens, und die Toten wurden aus dem, was geschrieben war in den Büchern, gerichtet nach ihren Werken. Das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren, und der Tod und die Unterwelt gaben die Toten, die in ihnen waren, zurück, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. Der Tod und die Unterwelt wurden in den Feuersee geworfen; das ist der zweite Tod, der Feuersee. Und wer nicht eingeschrieben war im Buche des Lebens, der wurde in den Feuersee geworfen.

Mt. 25, 31-46:

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen, und es werden sich versammeln vor ihm alle Völker, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe wird er zu seiner Rechten stellen, die Böcke zu seiner Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters! Nehmt in Besitz das Reich, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt! ... Dann wird er auch zu denen zur Linken sprechen: Weicht von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln. ... Und diese werden hingehen in ewige Pein, die Gerechten aber in ewiges Leben.

IV. Das Partikulargericht

Mit fortschreitender Individualisierung werden die Darstellungen eines Kollektivgerichts ab dem 13. Jahrhundert immer seltener. An seine Stelle tritt ein Parikulargericht, das während und unmittelbar nach dem individuellen Tod zwischen dem Schutzengel und einem Teufel ausgekämpft wird.(Hieronymus Bosch). Insgesamt bestehen im späten Mittelalter aber verschiedene Jenseits- und Gerichtskonzepte konkurrierend nebeneinander (z.B. Fegefeuer).

V. Literatur

Philippe Ariès: Geschichte des Todes. München 1982, 123- 141.

Jacques Le Goff: Die Geburt des Fegefeuers. Vom Wandel des Weltbildes im Mittelalter. München 1990, 280-284.

Peter Jezler: Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge - Eine Einführung. In: Himmel Hölle Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Katalog Ausstellung Zürich 1994, 13-26.

Norbert Ohler: Sterben und Tod im Mittelalter. München 1990, 158-183.

Beat Brenk: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4. Rom Freiburg Basel Wien 1994, 513-523, s.v. Weltgericht.

Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. Berlin 19817.

Ebbe Nyborg: Kirchliche Kunst und mittelalterliche Wirklichkeit. In: Grethe Jacobsen und Jens Chr. V. Johansen (Hrsgg.): Quotidianum septentrionale. Aspects of daily life in medieval Denmark (Medium Aevum Quotidianum Newsletter 15) Krems 1988, 23-35.

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WS 1995/96 Med. HS: "Jenseitsdarstellungen des Mittelalters in Text und Bild"
Stand: 13.05.1996