Filmkritik: ARADA (Between)

von Natascha Herr

ARADA (Between)
Türkei 2018 | Regie: Mu Tunç | Spielfilm

Mu Tunç ist in der Türkei vor allem als Werbefilmregisseur für internationale Marken wie L’Oreal und Starbucks bekannt. „Arada“ – in der englischen Übersetzung „Between“ – ist sein erster Film in Spielfilmlänge und gleichzeitig sein bisher persönlichstes Werk: mit dem „erste Punkfilm der Türkei“ eröffnet er der Welt einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte.

„Arada“ bebildert die nächtliche Odyssee seines Bruders Ozan durch die Underground-Szene Istanbuls in den 90er-Jahren. Als junger, rebellischer Punk-Sänger ringt er mit den festgefahrenen Vorstellungen seines Vaters – ebenfalls ein Musiker – und fühlt sich wie so viele seiner Zeitgenossen von den beschränkten Möglichkeiten seiner Heimat beschnitten. An seinem Geburtstag rückt die Chance auf ein neues Leben fernab der Türkei plötzlich in greifbare Nähe: Ozan erfährt von einem Kreuzfahrt-Ticket nach Kalifornien, mit dem sein Traum von Freiheit und einer Musiker-Karriere unerwartet Realität werden könnte. Zusammen mit seiner Freundin begibt er sich auf die Jagd nach dem vermeintlich erlösendem Stück Papier, das mit schwindelerregendem Tempo die Hände quer durch Istanbul wechselt.

Mu Tunç schubst den Zuschauer regelrecht in einen Kaninchenbau aus Musik, Farbe und Bildmontagen: an der Seite der Protagonisten wird er von betörenden Club- und Partyszenen in den Bann gezogen, trifft auf groteske Charaktere und findet sich im bedrohlichen Unterschlupf einer fanatischen Gruppe wieder – stets in der Sorge, Ozan könnte seinen eigenen Auftritt verpassen, der für diese Nacht angesetzt ist. Am Ende der – überraschenderweise erfolgreichen – Ticketjagd stellt gerade dieser Auftritt den eindringlichen Höhepunkt des Films dar: in einer gänsehautverursachenden Performance – hervorragend gespielt von Burak Deniz – setzt Ozan all die Frustration, die sich im Laufe der Filmhandlung und schon lange davor angestaut hat, in der Form seiner eigenen Musik frei. Hier wird deutlich, was Punk für Mu Tunç und seinen Bruder verkörpert: ein Ventil, eine emotionale Verbindung, ein Befreiungsschlag.

Die Show findet jedoch ein frühzeitiges Ende, als der Club gestürmt wird und politische Unruhen die Stadt buchstäblich entfärben: der Rest der Nacht zieht in hektischen, abstrakten und schwarz-weiß gefilterten Bildern über die Leinwand. Bei Tagesanbruch erreicht Ozan zusammen mit seiner Freundin und dem Kreuzfahrt-Ticket den Hafen. Der Film endet mit der entscheidenden Frage: kann er tatsächlich sein Leben und seine Liebe für eine ungesicherte Zukunft in einem fremden Land zurücklassen?

„Arada“ ist ein kunstvoll gestalteter Film, der mit seinen suggestiven Bildern und Tönen zu einer Erfahrung wird und die Tür zur größtenteils unbekannten Musik- und Underground-Geschichte Istanbuls aufschließt. Er ist der erste, aber bleibt hoffentlich nicht der letzte Punk-Film der Türkei.        

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