Hervorgehoben

„Mensch, digital!“ – Ein Nachruf

Wenn die Generalprobe schief läuft…

Wer kennt ihn nicht, den alten Theater-Aberglauben: je schlechter die Generalprobe, desto besser die Aufführung. Genau das ist dem nunmehr dritten Jahrgang des Masterstudiengangs Film- und Medienkultur-Forschung auch passiert – ob es nun an dem exuberanten Anteil an ehemaligen Theaterwissenschaftlern liegt, sei dahingestellt.
Aber nun von Anfang an:
Bereits im Sommer, im zweiten Fachsemester der FMKler:innen und dem ersten Corona-bedingten Onlinesemester an der LMU, stellt uns Marcel Schellong, Betreuer des Fachs und immer Mit-Organisator der Tagung, eine Kooperation mit der Münchner Volkshochschule in Aussicht: LMU goes MVHS, Studium trifft auf Erwachsenenbildung. Ende Januar sollte das Ganze unter dem groben Rahmenthema „Digitalisierung“ losgehen.
Im November – denn das digitale Wintersemester wurde nach hinten verschoben – fand dann unser erstes Planungstreffen statt. Schnell stellte sich heraus, dass wir alle verschiedene Ideen und Interessen hatten, uns aber ein Thema besonders wichtig war: wie findet eine Tagung eigentlich während einer globalen Pandemie statt? Die Antwort ist natürlich: digital. Damit hatten wir zwar an der Uni schon zur Genüge Erfahrungen gemacht, aber meistens eher von Teilnehmerseite oder in kleinen Kreisen als Host. Und eigentlich, auch das wurde schnell klar, wollten wir unsere Tagung am liebsten in Präsenz abhalten, unsere Kommiliton:innen und Gäste (Familie, Freunde und Interessierte) sehen, direktes Feedback zum Vortrag bekommen und in Anschluss miteinander ins Gespräch kommen. Deswegen hielten wir uns bis zum letzten Ministerentscheid die Möglichkeit offen, uns auch „real“ zu treffen und die Tagung unter Einhaltung strikter Hygieneregeln stattfinden zu lassen.
Während uns Corona also im Nacken saß, hatten wir noch ganz andere Sorgen: eine Tagung kann selbstverständlich nicht ohne Inhalt stattfinden und direkt im Dezember mussten Titel und Thema der jeweiligen Vorträge feststehen. Zuerst wurde in der Gruppe gebrainstormt, dann suchte sich jede:r individuell sein/ihr Thema aus und zu guter Letzt standen unsere fünf Panels fest, die sich mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten der Digitalisierung beschäftigten: von Memes bis hin zu Barrierefreiheit war alles vertreten.
Schneller als es allen lieb war, kam sie auch schon: die Generalprobe. Am letzten Donnerstag vor der Tagung versammelten wir uns, um die technischen Abläufe durchzugehen. Dabei waren dann alle Faux-passes, die man sich vorstellen kann: von nicht hörbaren Zuschaltungen bis hin zu nicht funktionierenden Hintergründen steckten wir das ganze Spektrum ab. Dennoch blieben unsere Verantwortlichen vor Ort eisern dabei, lösten jedes Problem mit Hilfe der Techniker der VHS und lotsten uns in sichere Gewässer. Denn: an den Tagen der Tagung lief alles reibungslos ab (abgesehen von den ein oder anderen Teilnehmenden, die sich unbedingt per Ton zuschalten wollten – Zwischenrufe lassen sich wohl auch digital nicht vermeiden!) und wir konnten Teilnehmerzahlen von bis zu 70 Personen verzeichnen.
In der Retrospektive also lässt sich vor allem eines sagen: wir können stolz auf das sein, was wir auf die Beine gestellt haben. Mit all den Planungsunsicherheiten, geschlossenen Bibliotheken und dem allgemeinen Corono-Lockdown-Blues haben wir eine runde, in sich geschlossene Tagung geschafft, aus der wir vieles mitgenommen haben. Denn geschafft haben wir nicht nur den Spagat zwischen Universität und „Realität“ (wenn man so will), sondern auch den zwischen Digital- und Analogveranstaltung.
Besonderer Dank hierfür gilt natürlich auch Daniela Kirschstein von der Münchner Volkshochschule und Marcel Schellong, dem Leiter unseres Kurses! Auch ohne Sie wäre all dies nicht möglich gewesen.

Hervorgehoben

Ich studiere Film- und Medienkultur-Forschung. Und was macht man damit?

Über das Verlassen der „Uni-Blase“

von Lydia Frost und Paulina Kutschka

Den Masterstudiengang Film- und Medienkultur-Forschung (kurz: FMK) gibt es noch gar nicht so lange. Wir sind aktuell der zweite Jahrgang – insofern hatten wir oft nur wenig Ahnung davon, was uns so erwartet. Vergangenes Jahr standen unsere Kommilitonen/-innen aus dem höheren Semester vor der Aufgabe, eine Fachtagung zu planen und durchzuführen – so ist es regulär als Prüfung im dritten Semester vorgesehen. Dieser gemeinsamen Projektarbeit, so würden wir jetzt einschätzen, hat auch unser überschaubarer Jahrgang durchaus freudig entgegen gesehen. Umso größer war die Zustimmung, als wir im Wintersemester 2019/20 sogar die spannende Möglichkeit erhielten, mit der Filmstadt München im Rahmen der Mittelmeer-Filmtage zusammenzuarbeiten und diese mitzugestalten. Die Idee, unsere Forschungsansätze vor einem großen Publikum zur Anwendung kommen zu lassen und damit die Filmtage um eine wissenschaftliche Perspektive zu erweitern, wurde von uns mit viel Enthusiasmus aufgenommen. Voller Elan wurde sich auf die Planung gestürzt, ganz heiß darauf, unserer Kreativität freien Lauf zu lassen – gerade, weil wir es aus unserem Studiengang gewohnt sind, eher theoriebasiert zu arbeiten. Erste Ideen rund um einen Werbefilm, eine Fotoausstellung, eine Kunstinstallation, Workshops und Filmeinführungen wurden schnell konkretisiert.
Nach einigen Treffen und detaillierten Ausarbeitungen der einzelnen Arbeitsgruppen wurde klar, dass es schwierig ist, die Wissenschaft vor lauter Möglichkeiten nicht zu vernachlässigen. Und plötzlich standen wir vor einem Problem: Wie schafft man es eigentlich, die Brücke zwischen Wissenschaft und kreativem Arbeiten zu schlagen?
Nun stellt sich heraus, dass künstlerische Freiheit manchmal eine schwierige Ausgangslage für eine wissenschaftliche These darstellt. Durch die Begeisterung und die Zeit, die wir in den kreativen Prozess gesteckt haben, haben wir den wissenschaftlichen Fokus etwas aus den Augen verloren. Das ergibt sich nicht unbedingt aus der eigenen Schwerpunktsetzung, sondern ist auch Folge eines Interessenskonflikts. In der Rolle als Studierende ist es unsere Aufgabe, den wissenschaftlichen Ansprüchen der Universität zu genügen und diese zu repräsentieren. Gleichzeitig müssen wir uns im Hinblick auf die bevorstehenden Filmtage auch einem Uni-externen Publikum anpassen können. Im Umfeld der Uni sind wir es gewohnt, auf ein gleichgesinntes Publikum zu treffen. Nur selten begeben wir uns mit unserem Filmwissen aus unserer Blase. Auf einer öffentlichen Veranstaltung wie den Mittelmeer-Filmtagen trauen wir uns nun vor ein heterogenes Publikum, das wir nur schwer einschätzen können. Wie setzt sich das Publikum zusammen? Welches Vorwissen können wir voraussetzen? Und ist das Publikum überhaupt an wissenschaftlichen Impulsen interessiert? Letztlich müssen wir feststellen, dass es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten geben kann. Doch wie können wir dann bei einer Filmeinführung sicherstellen, dass wir das Publikum mit unseren theoretischen Ansätzen erreichen und gleichzeitig dem Anspruch der Uni gerecht werden?
Statt dem üblichen Aufbau unserer schriftlichen Arbeiten versuchen wir zum Beispiel, das gewohnte Prozedere mit Referenzen auf andere Autoren im mündlichen Vortrag zu umgehen. Während wir normalerweise verschiedene Blickpunkte einnehmen, ist es nun wichtig, dem Publikum eine eindeutige Sichtweise zu präsentieren und es auch direkt anzusprechen. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass ein Vortrag vor dem Film leicht zugänglich, verständlich und informativ sein sollte – mit der Besonderheit nicht aus Versehen den Film zu spoilern.
Was wir dabei stets im Hinterkopf haben ist, dass unsere Leistung letztlich auch in schriftlicher Ausführung benotet wird. Außerdem unterscheiden sich unsere Beiträge für die Filmtage von Gruppe zu Gruppe so sehr, dass es schwierig ist, eine allgemeingültige und gleichzeitig für jeden zufriedenstellende Leistungsbeurteilung zu finden.
Trotz all dieser Schwierigkeiten freuen wir uns auf die Herausforderung und sehen unsere Vorträge bei den Mittelmeer-Filmtagen als lehrreiche Gelegenheit im Hinblick auf unsere berufliche Zukunft. Wir denken, es ist manchmal gar nicht so schlecht, die Wissenschafts- Blase zu verlassen, schließlich sind im Rahmen der Mittelmeer-Filmtage tolle und kreative Projekte entstanden. Die wissenschaftliche Methodik haben wir als Masterstudenten dann doch schon verinnerlicht und sie damit längst zur Grundlage unseres Denkens gemacht.

Filmkritik: L’UOMO CHE COMPRÓ LA LUNA (Der Mann, der den Mond kaufte)

von Carla Pollak

L’UOMO CHE COMPRÓ LA LUNA (Der Mann, der den Mond kaufte)
Italien 2018 | Regie: Paolo Zucca | Spielfilm

Ein heiterer und amüsanter Film, in dem sich Poesie und Farce gekonnt die Waage halten.

Das Zitat stammt aus dem diesjährigen Programmheft der 12. Mittelmeer-Filmtage und könnte Paolo Zuccas Film L’UOMO CHE COMPRÓ LA LUNA kaum treffender beschreiben. Es passt wortwörtlich wie die Faust aufs Auge. Und mit einer solchen Faust wird der Zuschauer den ganzen Film lang immer wieder konfrontiert.

Immer wenn wir denken, wir wissen, welchen Weg die Handlung einschlagen wird, müssen wir durch eine plötzliche Wendung, die uns wie eine Faust ins Gesicht trifft, immer wieder feststellen, dass wir eigentlich keine Ahnung haben. Damit sind wir aber nicht alleine. Auch der Protagonist des Films, ein junger Mailänder mit sardischen Wurzeln, weiß nicht, was auf ihn zukommt, als er eines Tages wegen seiner Herkunft von den italienischen Behörden ausgewählt wird, einen äußerst absurden Fall zu lösen. Irgendjemand auf der Insel Sardinien hat den Mond gekauft und steht damit in direkter Konkurrenz zu den Amerikanern! Der Dieb muss gefunden und ausgeschaltet werden!

Das Problem an der Sache: Unser Agent hat deshalb so wenig Ahnung wie wir, weil er den Bezug zur Insel und damit auch zu ihren kulturellen Gepflogenheiten und ihrer Identität verloren hat. Um diesen Missstand zu beseitigen, wird er in der ersten Hälfte des Films in die Lehre eines alten Sarden geschickt, der ihm die Bräuche der einheimischen Bevölkerung zeigt. (Auch hier kommen nicht selten Fäuste zum Einsatz.)

Die Bräuche wirken zunächst unsinnig und überzeichnet. Doch auf Sardinien helfen sie unserem Agenten am Ende tatsächlich dabei sich den Dorfbewohnern anzunähern und den Dieb ausfindig zu machen.

Zucca spielt virtuos mit Vorurteilen und Stereotypen, bringt uns damit aber gleichzeitig Traditionen einer der bekanntesten Inseln Italiens näher. So führen uns alle Wege schließlich zurück zum Hauptmotiv des Films: dem Mond (italienisch: la luna). Auf Sardinien wird er als weibliche Göttin verehrt. Italienische Frauen blicken noch heute auf sein Spiegelbild im Wasser und wünschen sich ein Kind.

Inseln besitzen meist eine ganz eigene Identität. Einen Zugang zu dieser Identität zu finden, ist für uns Außenstehenden nicht leicht. Zucca schafft es, uns diesen mit seinem Film zu geben. Er lässt uns mit viel Witz und Humor in die Welt Sardiniens eintauchen, die wir am Ende eigentlich gar nicht mehr verlassen wollen.

Workshop@Mittelmeer-Filmtage: Ein Nachwort

von Natascha Herr und Karolin Tybus

Idee, Konzeption und Durchführung des Workshops:
Nicoletta Kolmeder, Mark Luxenhofer
Patryk Maciejewski, Lea Kubisch

Wie bewertet ihr euren Workshop, konntet ihr das gewünschte Ergebnis erzielen?
Patryk: Meiner Meinung nach war die Vortragsreihe ein voller Erfolg. Die Koordination mit der Kunstinstallationsgruppe hat super funktioniert, die Anfahrt der Gastredner verlief problemlos und die Veranstaltung war auch sehr gut besucht. Das Pixel gab dem Ganzen noch ein individuelles, alternatives Flair, sodass die Vorträge nicht trocken und akademisch rüberkamen.
Mark: Ich bin sehr zufrieden mit dem Workshop. Die Vorträge waren allesamt großartig und mich persönlich hat es zum Beispiel unglaublich gefreut, dass ich so meine ehemalige Dozentin und gute Freundin Romana endlich wiedergesehen habe. Das war wirklich toll und zeigt einmal mehr, dass es bei solchen Workshops vor allem auch um das Zwischenmenschliche geht. Alles in allem kann ich ein sehr positives Fazit ziehen.
Nicoletta: Es ist alles reibungslos über die Bühne gegangen und die Nervosität hielt sich bei mir persönlich auch in Grenzen. Tatsächlich waren die Diskussionsrunden besser als ich erwartet hatte.

Sind noch Schwierigkeiten aufgetreten? Wie habt ihr sie gemeistert?
Lea: Ja, leider konnte eine unserer GastdozentInnen nur am selben Tag der Kunstinstallation und wir mussten uns den Raum teilen. Aber das, was sich zu Beginn als Schwierigkeit präsentiert hat, war letztlich doch echt toll, da beides wirkungsvoll nebeneinander und miteinander harmoniert hat, wie ich finde.
Mark: Es gab kleinere Schwierigkeiten. Zum Beispiel konnte der Ton über Patryks Laptop nicht abgespielt werden, dies ließ sich aber mit einem Adapter, den wir schnell beim Saturn besorgen konnten, leicht beheben. Auch mussten wir etwas umdisponieren und die Bühne am Samstag aufgrund der Kunstinstallation etwas anders stellen. Das hat aber auch sehr gut funktioniert und ich bin glücklich, dass wir es geschafft haben, dass beide Gruppen im Pixel parallel ihre Projekte verwirklichen konnten.
Patryk: Es hätte durchaus etwas schieflaufen können, doch schlussendlich hat alles reibungslos geklappt.

Hat sich eure Beziehung zum Mittelmeerraum verändert?
Nicoletta: Eigentlich kaum. Aber zumindest weiß ich jetzt mehr über die Kunst und Kultur der Regionen.
Mark: Ich würde sagen ja, denn im Verlauf der Tagung haben wir viele spannende Vorträge gehört und neue Perspektiven eröffnet bekommen. Für mich war im Vorfeld nicht klar, wie vielfältig der Mittelmeerraum eigentlich ist und welche Bedeutung er auch für uns in Mitteleuropa hat.
Patryk: Ich glaube, wenn man sich eine längere Zeit kritisch mit einem Thema beschäftigt, dann verändert sich das Verhältnis zu diesem Sachverhalt automatisch. Das Wissen um den historischen Hintergrund des Mittelmeers hat mir bespielweise die Wichtigkeit dieses Gewässers für die europäische Kultur nähergebracht.
Lea: Ja, irgendwie schon. Einige Themen waren mir bereits vorher bewusst, aber mein Verständnis hat sich extrem vertieft, v.a. was die Gegensätzlichkeiten anbelangt. Gleichzeitig waren die Filme echt toll, um die Kulturen der Länder auch mal aus ihrer Perspektive zu sehen. Erst bei solchen Filmtagen fällt auf, wie amerikanisch unser Kino-Blick doch geprägt ist.

Was wollt ihr euren FMKF-Nachfolgern für deren Tagung auf den Weg mitgeben?
Lea: Fangt früh an, euch um eure Sachen zu kümmern! Dann gibt es hintenraus nicht so einen Stress. Und bestimmt Gruppensprecher (oder vielleicht sogar ein Team aus zwei Leuten), die die Abläufe und To-Dos im Blick behalten. Regelmäßige Treffen, um sich auszutauschen, sind auch nicht schlecht. Aber das Zentrale ist wohl: nehmt es nicht ganz so wichtig. Ja, es gibt Noten und ja, ihr sprecht vor Menschen, aber wirklich ausschlaggebend ist die Realität. Und dieses Wissen den Menschen näher zu bringen ist das Coole an den Vorträgen.
Patryk: Habt immer und für jeden Fall einen Plan B zur Hand und seid flexibel! Ein gut durchdachter Ablauf ist nutzlos, wenn er durch ein unabsehbares Ereignis in die Brüche geht.
Nicoletta: Seid nicht nervös. Es ist halb so wild. Das Wichtigste ist die Kommunikation zwischen den Gruppen. Plant euch kleine Belohnungen wie beispielsweise einen „Feierabend-Drink“ mit Freunden nach erfolgreichen Vorträgen ein. So habt ihr Zeit, das Projekt auch als Gruppe zu genießen, statt nur den Stress der Organisation und die Arbeit am eigenen Vortrag in Erinnerung zu behalten.
Mark: Am Ende ist alles halb so schlimm. Vorbereitung ist das Wichtigste und vor allem Kommunikation. Viele Probleme können sehr schnell behoben werden, wenn man nur miteinander redet. Aber es kommt auch darauf an, dass man Spaß an der ganzen Sache hat. Man sollte sich ein Thema aussuchen, das einen wirklich interessiert, dann geht alles leichter von der Hand.

Ein Schlussfazit?
Patryk: Ein äußerst gelungener erster Workshop, hat sehr Spaß gemacht!
Lea: Wir haben alle ganz schön was auf dem Kasten. 😉
Mark: Ich kann nur wiederholen, was ich schon zuvor gesagt habe. Ich glaube, die Mittelmeer-Filmtage waren für uns alle etwas Besonderes und im Nachhinein bin ich sehr froh, dass wir die Möglichkeit hatten, aus dem universitären Rahmen etwas auszubrechen, um uns so frei verwirklichen zu können. Und die Party war echt lit.
Nicoletta: Es war eine interessante Erfahrung, aber ich bin auch froh, dass es vorbei ist. Man muss doch viel Zeit in so ein Projekt investieren und es kommen immer wieder neue Aufgaben auf einen zu. Letztlich ist aber alles zu schaffen oder man findet zumindest Kompromisse.

Filmkritik: ARADA (Between)

von Natascha Herr

ARADA (Between)
Türkei 2018 | Regie: Mu Tunç | Spielfilm

Mu Tunç ist in der Türkei vor allem als Werbefilmregisseur für internationale Marken wie L’Oreal und Starbucks bekannt. „Arada“ – in der englischen Übersetzung „Between“ – ist sein erster Film in Spielfilmlänge und gleichzeitig sein bisher persönlichstes Werk: mit dem „erste Punkfilm der Türkei“ eröffnet er der Welt einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte.

„Arada“ bebildert die nächtliche Odyssee seines Bruders Ozan durch die Underground-Szene Istanbuls in den 90er-Jahren. Als junger, rebellischer Punk-Sänger ringt er mit den festgefahrenen Vorstellungen seines Vaters – ebenfalls ein Musiker – und fühlt sich wie so viele seiner Zeitgenossen von den beschränkten Möglichkeiten seiner Heimat beschnitten. An seinem Geburtstag rückt die Chance auf ein neues Leben fernab der Türkei plötzlich in greifbare Nähe: Ozan erfährt von einem Kreuzfahrt-Ticket nach Kalifornien, mit dem sein Traum von Freiheit und einer Musiker-Karriere unerwartet Realität werden könnte. Zusammen mit seiner Freundin begibt er sich auf die Jagd nach dem vermeintlich erlösendem Stück Papier, das mit schwindelerregendem Tempo die Hände quer durch Istanbul wechselt.

Mu Tunç schubst den Zuschauer regelrecht in einen Kaninchenbau aus Musik, Farbe und Bildmontagen: an der Seite der Protagonisten wird er von betörenden Club- und Partyszenen in den Bann gezogen, trifft auf groteske Charaktere und findet sich im bedrohlichen Unterschlupf einer fanatischen Gruppe wieder – stets in der Sorge, Ozan könnte seinen eigenen Auftritt verpassen, der für diese Nacht angesetzt ist. Am Ende der – überraschenderweise erfolgreichen – Ticketjagd stellt gerade dieser Auftritt den eindringlichen Höhepunkt des Films dar: in einer gänsehautverursachenden Performance – hervorragend gespielt von Burak Deniz – setzt Ozan all die Frustration, die sich im Laufe der Filmhandlung und schon lange davor angestaut hat, in der Form seiner eigenen Musik frei. Hier wird deutlich, was Punk für Mu Tunç und seinen Bruder verkörpert: ein Ventil, eine emotionale Verbindung, ein Befreiungsschlag.

Die Show findet jedoch ein frühzeitiges Ende, als der Club gestürmt wird und politische Unruhen die Stadt buchstäblich entfärben: der Rest der Nacht zieht in hektischen, abstrakten und schwarz-weiß gefilterten Bildern über die Leinwand. Bei Tagesanbruch erreicht Ozan zusammen mit seiner Freundin und dem Kreuzfahrt-Ticket den Hafen. Der Film endet mit der entscheidenden Frage: kann er tatsächlich sein Leben und seine Liebe für eine ungesicherte Zukunft in einem fremden Land zurücklassen?

„Arada“ ist ein kunstvoll gestalteter Film, der mit seinen suggestiven Bildern und Tönen zu einer Erfahrung wird und die Tür zur größtenteils unbekannten Musik- und Underground-Geschichte Istanbuls aufschließt. Er ist der erste, aber bleibt hoffentlich nicht der letzte Punk-Film der Türkei.        

filmimpuls. zu IL SE PASSE QUELQUE CHOSE

Eine Filmeinführung von Karolin Tybus (vorgetragen am 21.01.2020 im Rahmen der Mittelmeer-Filmtage in München)

IL SE PASSE QUELQUE CHOSE (Something is Happening)
Frankreich 2018 | Regie: Anne Alix | 101 Min. | Spielfilm, Drama

Il se Passe Quelque Chose ist ein Drama aus dem Jahr 2018, das im selben Jahr unter anderem im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes gezeigt wurde. Das Drehbuch zum Film schrieben Alexis Galmot und Anne Alix. Regisseurin Anne Alix, die selbst seit einigen Jahren in der Camargue lebt, wo der der Film spielt und auch gedreht wurde, hat mit Il se Passe Quelque Chose einen Film geschaffen, der sich auf besondere Weise mit der Thematik von Begegnungen zwischen Menschen verschiedenster Herkunft auseinandersetzt.

Zunächst möchte ich für Sie den Inhalt noch einmal kurz umreißen. Der Film erzählt die Geschichte der aus Bulgarien stammenden Irma, die nach dem Tod ihres Mannes ihren Platz in der Welt nicht mehr findet und der weltoffenen, unabhängigen Spanierin Dolorès, die an einem gay-friendly Reiseführer arbeitet. Beide begegnen sich durch einen Zufall und begeben sich auf einen gemeinsamen Roadtrip durch die Camargue zwischen Rhône und Mittelmeer – scheinbar auf der Suche nach einem neuen Start ins Leben. „Il se passe quelque chose“, „something is happening“, „es passiert etwas“ – der Name des Films ist Programm. Auf ganz subtile und ruhige Art wird dem Zuschauer das, was geschieht, durch die Begegnungen mit den verschiedenen Protagonisten im Film nähergebracht. Durch die Augen von Dolorès und Irma scheinen wir als Zuschauer erfahren zu können, wie die Camargue und ihre Bewohner wirklich sind.

Dieser Gedanke führt mich nun auch zu meinem wissenschaftlichen Ansatzpunkt zu Il se passe Quelque Chose. In ihren Notizen zum Film aus dem April 2017 (zu finden im Beiheft der DVD) schreibt Anne Alix, dass sie sich gern von der Realität inspirieren lässt – ich möchte hier auch erwähnen, dass sie bereits bei einigen Dokumentarfilmen Regie führte. So änderte sie die zuerst entworfene Struktur des Films dahingehend, dass Dolorès und Irma nun nicht mehr einfach nur mit erfundenen Charakteren, sondern mit den Menschen und deren Geschichten, die dem Team während der Suche nach Drehorten in der Camargue begegnet sind, zusammentreffen sollten. Hierbei sollte nun im Anschluss besonders herausgestellt werden, dass eigentlich niemand, mit dem das Team sprach, ursprünglich aus Frankreich stammt. Das Drehbuch, in dem die Geschichte von Dolorès und Irma verankert ist, bildet also lediglich einen Rahmen für das, was im Film wirklich gezeigt wird. In Il se Passe Quelque Chose treffen so gewissermaßen Fiktion und Realität aufeinander. Die Fiktion der Rahmenhandlung um die beiden Protagonistinnen nimmt die echten Geschichten in sich auf und lässt eine äußerst interessante Art des Dokumentarfilms entstehen. Auch in der Inszenierung werden wir dies gleich in einigen Teilen des Films sehen können.

Wie ich bereits am Anfang meines Vortrages erwähnt habe, ist Il se Passe Quelque Chose jedoch kein Dokumentarfilm sondern ein Drama. Die Hauptgeschichte, die wir als Zuschauer verfolgen sollen, ist, wie bereits von mir erwähnt, die von Irma und Dolorès. Deren Begegnungen mit den anderen Protagonisten spielen eine tragende Rolle. Sie helfen den beiden Frauen, sich weiterzuentwickeln, denn Veränderung ist eine grundlegende Charakteristik des Erzählens einer Geschichte. Fiktionale Werke haben in vielerlei Hinsicht den Anspruch, unsere Wirklichkeit abzubilden. In gewisser Weise also das Schaffen einer alternativen Realität in der wir uns als Rezipienten wiederfinden können. Sie werden aber unsere Realität niemals so exakt darstellen können, wie wir sie kennen. Il se Passe Quelque Chose baut hier eine faszinierende Brücke, bei der die Fiktion buchstäblich auf die Wirklichkeit trifft und von dieser beeinflusst wird.

Geht man also davon aus, dass der Film Züge eines künstlerischen Dokumentarfilmes aufweist, erschließt er für uns als Publikum ganz subtil eine reale Welt, die wir sonst womöglich nicht zu Gesicht bekommen hätten. Er zeigt die Diversität der Bewohner der Camargue – von Migranten und Flüchtlingen, die in Frankreich nach einem neuen, sichereren Leben suchen. Wie der Journalist und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer schreibt, bringt das Kino uns „Auge in Auge mit Dingen, die wir fürchten“ und fordert uns dazu auf, uns mit den realen Ereignissen, die es zeigt, kritisch auseinanderzusetzen (Kracauer 247). Wir fürchten das Fremde, das Andere – Dinge, die uns unbekannt sind, Dinge, die wir nicht gewohnt sind, Dinge, mit denen wir uns oft ungern auseinandersetzen wollen.

Il se Passe Quelque Chose lässt uns mit Irma und Dolorès eben solche Konfrontationen auf der Leinwand durchleben. Diese Konfrontationen haben aber durchaus keinen negativen Hintergrund. Ganz im Gegenteil. Die beiden Frauen lernen das ihnen zunächst Fremde in Begegnungen und Gesprächen kennen und nutzen ihre neu gewonnenen Erfahrungen und verändern sich durch diese. Fiktive Gesprächspartner und Geschichten hätten die Entwicklung von Dolorès und Irma natürlich genauso beeinflussen können, aber Anne Alix hat sich bewusst entschieden, ihr fiktionales Werk der Realität, in der es spielt, gegenüberzustellen, um die wirkliche Camargue zu zeigen. So ist ein Film entstanden, der fast unmerklich für uns als Zuschauer aktuelle Thematiken der europäischen Gesellschaft aufgreift und von diesen erzählt.


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Il se Passe Quelque Chose. Regie Anne Alix, Darbietungen von Bojena Horackova und Lola Dueñas, Shellac, 2018. DVD.

Kracauer, Siegfried. „Die Errettung der physischen Realität.“ Texte zur Theorie des Films, Reclam, 2017, S. 234 – 245.

filmimpuls. zu CITY FOR SALE (2018)

Mittelmeermetropole Barcelona: Zwischen Lebensraum und Massentourismus
Filmwissenschaftliche Überlegungen zum Film „City for Sale“ von Lydia Frost

CITY FOR SALE
Katalonien | Spanien | 2018 | Regie: Laura Alvarez | 82 Min | Dokumentarfilm

Wohin soll der nächste Sommerurlaub gehen? Vielleicht auf eine griechische Insel? Ein Städtetrip nach Venedig? Oder doch lieber eine Kreuzfahrt entlang der Adria? Das Mittelmeer ist und bleibt eines der begehrtesten Reiseziele für Touristenströme aus aller Welt. Eine Studie des Deutschen Tourismusverbands zum Reiseverhalten der Deutschen im Jahr 2018 legt offen, dass die Liste der beliebtesten ausländischen Urlaubziele von Spanien, Italien und der Türkei – also alles Länder des Mittelmeerraums – angeführt wird.[1]

Auch der katalanische Dokumentarfilm City for Sale (2018) der Regisseurin Laura Alvarez befasst sich mit der Thematik Massentourismus und den Folgen, die dieser auf die Bewohner der Stadt Barcelona hat.[2] Für das Jahr 2018 verzeichnet Barcelona rund 16 Millionen Besucher bei einer Einwohnerzahl von 1,6 Millionen – das sind fast doppelt so viele wie noch im Jahr 2010.[3] Bei City for Sale, der auf dem Festival de Málaga und dem DocsBarcelona zum ersten Mal gezeigt wurde – und nun auch als Deutschlandpremiere im Rahmen der 12. Mittelmeer-Filmtage läuft – handelt es sich um Laura Alvarez‘ ersten Dokumentarfilm in Spielfilmlänge.[4] Zwei Jahre lang begleitet die Regisseurin dafür vier Familien aus Barcelona – Montse und Joan, Mai und Pepi, Carolina sowie Jordi – und zeigt auf, mit welchen Problemen die Bewohner der Touristenmetropole zu kämpfen haben:[5] Die Zweckentfremdung von Wohnungen, die Vertreibung aus dem eigenen Zuhause, gesundheitliche Schäden, Depressionen und unzumutbare Lebensumstände sind nur einige der schwerwiegenden Konsequenzen.

In den folgenden Ausführungen sollen drei Thesen zum Film City for Sale dargelegt werden. In diesem Zuge sollen außerdem die Geschichte des Massentourismus sowie Techniken des (Dokumentar-)Films näher beleuchtet werden.

Filme nutzen verschiedene Strategien, um ihre Zuschauer zu beeinflussen und um eine Wirkung zu erzielen. Die – teils genreabhängigen – Bauformen des Films lassen sich in „filmanalytisch ergiebige Kategorien“[6], wie beispielsweise Einstellungsgrößen, Musik und Kameraführung, unterteilen und sind oft unumgänglich für eine tiefgreifende Analyse der Filmessenz. An dieser Stelle lässt sich die erste Beobachtung – und damit die erste These – zum Film formulieren: Durch den Einsatz spezifischer Erzähltechniken des Dokumentarfilms gelingt es City for Sale, dem Zuschauer die Problematik Massentourismus näherzubringen. Bevor jedoch auf die konkreten technischen und stilistischen Gestaltungsmittel des Films eingegangen wird, soll zunächst ein historischer Blick auf das Phänomen Massentourismus geworfen werden.

Die Expansion des Massentourismus, wie sie heute zu beobachten ist, beginnt bereits in den 1970er Jahren.[7] Einkommenssteigerungen, technische Fortschritte im Flugverkehr, die Entwicklung einer professionellen Tourismusbranche, aber vor allem die Erfindung der Pauschalreise tragen zu einer Steigerung der jährlichen Urlaubsreisen bei. Während vor 1970 noch Österreich und Italien zu den beliebten Reisezielen der Westdeutschen zählen, ermöglicht es die schnellere und immer günstiger werdende Anreise mit dem Flugzeug nun, auch weiter entfernte Länder wie Spanien problemlos zu erreichen. Vielseitige Angebote der Reiseveranstalter, wie z.B. voll-organisierte Tagesausflüge, ziehen immer mehr Besucher an.

Seit 1990 hat sich die Zahl der Touristen in der katalanischen Hauptstadt Barcelona verzehnfacht.[8] Insbesondere der Kreuzfahrten-Boom, die Förderung des Massentourismus durch inländische Tourismusindustrien und der daraus resultierende Wettbewerb zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeers sind für die steigenden Besucherzahlen verantwortlich.[9] Dabei zerstören Touristifikation und Gentrifizierung den Lebensraum der einheimischen Bewohner.

Auf die sozialen Probleme der Anwohner als Folge des Massentourismus möchte Laura Alvarez mit ihrem Dokumentarfilm City for Sale aufmerksam machen. Dabei können bestimmte Erzähltechniken maßgeblich dazu beitragen, die Problematik zu visualisieren und das Publikum zu sensibilisieren.

Eines der zentralen Stilprinzipien in City for Sale ist der Einsatz von Groß- und Nahaufnahmen der Protagonisten. Die Einstellungsgrößen verringern die Distanz zwischen Beobachter und beobachtetem Subjekt und generieren so ein Gefühl der Nähe zu den Menschen und ihren persönlichen Schicksalen. Neben den Einstellungsgrößen spielt auch der formale Aufbau des Bildes eine wichtige Rolle. Häufig sind die Protagonisten im Bildzentrum positioniert, wodurch die Aufmerksamkeit des Rezipienten unmittelbar auf die Betroffenen gelenkt wird. Überdies zeigt die Kamera die Akteure mehrfach von hinten und begleitet sie so durch das Geschehen. Der Zuschauer wird in die Rolle des Begleiters hineinversetzt und dazu aufgefordert, die Geschichten der Einwohner Barcelonas zu verfolgen. Außerdem erlaubt die Positionierung der Kamera, die Auswirkungen des Massentourismus aus den Augen der Leidtragenden zu erleben. Mitunter dient auch die Kameraführung der Vermittlung der Thematik. Der vermehrte Einsatz der Handkamera, welche sich durch leichte Bewegungen des Bildes auszeichnet, erzeugt ein ‚Realitätsgefühl‘ und unterstreicht damit die Tatsächlichkeit und Dringlichkeit der Problematik.

Ein weiteres Mittel, dessen sich der Film bedient, ist die Montage. Beispielhaft lässt sich hierzu eine Szene anführen, in der Jordi in einem Touristenbus sitzt. Die Montage kurzer Einstellungen, die Jordi aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt, trägt zur Charakterisierung des Protagonisten bei. Das die Montage begleitende Voice-Over, in dem Jordi über die negativen Konsequenzen des Tourismus und mangelnde Lösungsansätze seitens der Regierung spricht, bekräftigt eine Sympathielenkung, wobei Empathie und Mitleid für Jordi und seine Situation geweckt werden.

Doch City for Sale operiert nicht nur auf visueller Ebene, auch die Ebene des Auditiven ist bedeutungsgenerierend. Die weitgehend unveränderten Dialoge zwischen den dargestellten Personen, welche auch alltägliche Belanglosigkeiten enthalten, tragen zum Realitätseindruck des Geschehens bei. Anders als beim fiktionalen Film zeigt der Dokumentarfilm dem Betrachter unvorbereitete Gespräche und reale Konversationen. Zuletzt fungiert auf der auditiven Ebene die in City for Sale minimal gehaltene musikalische Untermalung. Da der Dokumentarfilm ohne eine Erzählerstimme auskommt und stimmlich nur über die Dialoge und Aussagen der Protagonisten erzählt, wird die Musik in Momenten des Schweigens zu einem wesentlichen Stilmittel. Die ruhige, unterschwellige Hintergrundmusik wird dabei vor allem während Montagen eingesetzt. Häufig verzichtet der Film aber auch ganz auf einen musikalischen Rahmen, wodurch die visuelle Darstellung der Thematik in den Mittelpunkt gerückt wird.

Nicht nur die Bewohner Barcelonas, sondern auch die Stadt selbst ist von der Touristifikation betroffen. Hier soll die zweite These der vorliegenden Ausführungen ihren Ausgang nehmen: Die Stadt Barcelona fungiert als weiterer eigenständiger Hauptakteur in City for Sale.

Erneut tragen spezifische Bauformen des Dokumentarfilms, wie etwa die Einstellungslängen, zur Charakterisierung der Stadt als Protagonist bei. City for Sale konfrontiert das Publikum wiederholt mit verhältnismäßig langen Einstellungen, wenn ihm Stadtbilder mit Menschenmengen und belebten Straßen gezeigt werden. Auch die establishing shots einzelner Szenen zur Festlegung des Handlungsorts lassen die Erschließung des Raumes ‚Barcelona als Lebensraum‘ zu.

Konträr zu den bereits erwähnten Groß- und Nahaufnahmen der Protagonisten stehen zudem viele Totalen, welche dem Zuschauer einen Einblick in das städtische Treiben der Mittelmeermetropole geben. Die Relevanz, welche den Kameraeinstellungen und -bewegungen hier zugeschrieben wird, etabliert die Stadt Barcelona als eigentlichen Hauptakteur des Films. Nicht minder bedeutsam ist hierbei der Filmtitel, für den die Großstadt die namensgebende Funktion erfüllt.

Die naturalistische und überwiegend unverfälschte Geräuschkulisse unterstreicht diese Wirkung: Baulärm, Straßengeräusche, das Läuten von Kirchenglocken, die Gespräche der Touristen, die Rufe der Protestanten, das Trommeln des Regens – sie alle stellen charakteristisch das Alltagsleben in Barcelona dar.

Der Mittelmeerraum besitzt einen ambivalenten Charakter. Auf der einen Seite symbolisiert er den Lebensraum der dort ansässigen Menschen, die schon ihr ganzes Leben am Mittelmeer verbracht haben. Auf der anderen Seite ist er zum überaus populären Reiseziel unzähliger Urlauber geworden. Vor diesem Hintergrund soll nun die dritte und letzte These zum Film aufgestellt werden: City for Sale bildet ebendiese Ambiguität des Mittelmeerraums als Lebensraum einerseits und als Urlaubsziel andererseits am Beispiel der Stadt Barcelona ab.

Ambiguität, also Zweideutigkeit, entsteht häufig dort, wo zwei Perspektiven aufeinandertreffen. Auch das Mittelmeer vereint zwei Perspektiven, die David Abulafia treffend als „Zusammenprall der Kulturen“[10] beschreibt: die Perspektive der Einheimischen, die das Mittelmeer als ihren Wohn- und Lebensraum wahrnehmen und die der Touristen, die das Mittelmeer als Urlaubsziel und Ort der Entspannung empfinden. Exemplarisch präsentiert City for Sale diese Ambivalenz beispielsweise, als Montse sich mit ihrem Rollwagen durch fotografierenden Touristenmassen drängen muss, um ihren täglichen Einkauf auf dem Markt zu erledigen.

Der Massentourismus ist für die Anrainerstaaten des Mittelmeers eine bedeutende Einnahmequelle, weswegen die Tourismusindustrie in vielen Ländern Maßnahmen zur Förderung dieses Wirtschaftszweiges ergreift. Damit einher gehen in den beliebten Reisezielen häufig Preiserhöhungen und steigende Mieten, von denen auch die Einheimischen betroffen sind.

Im Zusammenhang mit der Tourismusförderung werden vielerorts neue Jobs geschaffen. Was zunächst als positive Entwicklung erscheint, wird bei genauerem Hinsehen aufgelichtet: Die neu entstandenen Jobs durch den Massentourismus sind meist zeitlich begrenzt und werden extrem schlecht bezahlt.[11]

Ein weiterer Punkt, in dem der ambivalente Charakter des Mittelmeerraums sichtbar wird, ist die Wohnungssituation in vielen Großstädten. Zur Unterbringung der Touristenfluten entstehen zahlreiche neue Ferienwohnungen, Apartments und Hotels. Dazu werden meist schon bestehende Wohnungen umgewandelt und ihre eigentlichen Bewohner vertrieben. Neue Übernachtungsmöglichkeiten für die eine Seite bedeuten Wohnungsverluste für die andere Seite. Auch City for Sale thematisiert die problematische Wohnsituation in Barcelona. Die Ambiguität der Lage wird am Beispiel des Protagonisten Jordi sichtbar: Der Wohnkomplex, in dem Jordi bereits sein ganzes Leben lang wohnt, wurde in ein Hotel umgewandelt. Im Gegensatz zu den anderen Anwohnern des Gebäudes lässt sich Jordi jedoch nicht vertreiben. Er lebt nach wie vor in seiner Wohnung – umgeben von nummerierten Hotelzimmern, einer Rezeption im Eingangsbereich und ständig wechselnden Nachbarn.

Daneben zählt auch die verheerende Umweltbelastung zu den Auswirkungen des Massentourismus. Kreuzfahrten werden immer beliebter und gelten als besonders komfortable Form des Reisens für Touristen. Die Folge des Aufschwungs der Kreuzfahrtreisen ist eine erhebliche Wasser- und Luftverschmutzung, woraus wiederum – zum Teil schwere – gesundheitliche Beeinträchtigungen der Hafenstadt-Bewohner resultieren. Während immer mehr Luxus und Komfort auf den Kreuzfahrtschiffen zu haben ist, kommt es zu einer kontinuierlich sinkenden Lebensqualität der Einheimischen in ihrem eigenen Zuhause.

Die aktuelle Situation in Barcelona und anderen touristischen Urlaubszielen der Mittelmeerregion ist für viele Bewohner nicht mehr hinnehmbar. Was kann also getan werden? In vielen Touristen-Hochburgen haben die Anwohner schon vor einiger Zeit begonnen, aktiv gegen den Besucheransturm zu protestieren. So auch in Barcelona: Gegen Ende des Films zeigt City for Sale Bilder von Protestanten, die mit Rufen und erhobenen Schildern durch die Innenstadt ziehen. ‚Stop mass tourism‘, ‚Abolish all tourist apartments‘ und ‚La Barceloneta is a neighborhood, not a holiday resort‘ steht auf den Plakaten geschrieben.

Auch die Politik fängt an, mit Maßnahmen auf den Massentourismus zu reagieren. In Barcelona wurde bereits angeordnet, „die Wohnungspolitik, die Regulierung des Immobiliensektors und Beschränkungen für die Touristikbranche in den Mittelpunkt der Kommunalpolitik“[12] zu stellen. So musste beispielsweise das Vermietungsunternehmen Airbnb eine Strafe in Höhe von 600 000 Euro zahlen, nachdem es sich neuen Bestimmungen zur Beschränkung der Vermietung von Privatwohnungen entzogen hat.[13]

Doch dies ist bei Weitem noch nicht genug, um dem Leiden der Anwohner ein Ende zu setzen. Weitere Maßnahmen und eine aktive Einschränkung des Tourismus sind von Nöten, um eine dauerhafte Lösung zu erzielen. „[W]eg vom Billig-Party-, hin zum Qualitäts-Bildungs-Tourismus“[14] soll der neue Weg dabei lauten. Bevor nun also die nächste Reise gebucht wird, sollten wir alle kurz innehalten und überlegen, wie wir unseren Urlaub verbringen wollen – der Umwelt und den Einheimischen zuliebe.


[1] Vgl. „Zahlen – Daten – Fakten 2018,“ Deutscher Tourismusverband   DTV, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.deutschertourismusverband.de/fileadmin/Mediendatenbank/Bilder/Presse/Presse_PDF/ZDF_2018_Web.pdf.

[2] Vgl. Laura Alvarez, City for Sale (Katalonien: Bausan Films, 2018, Vimeo).

[3] Vgl. „‚Tourist go home‘ – Massentourismus überrollt Barcelona,“ 13.08.2019, YouTube Video, 02:40, https://www.youtube.com/watch?v=bP3e1bfoOKA.

[4] Vgl. „Laura Alvarez Soler. Documentary filmmaker & multimedia producer,“ Laura Alvarez Soler, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.lauraalvarezsoler.com/about.

[5] Vgl. „City for Sale. A documentary film about the consequences of mass tourism in Barcelona,“ Bausan Films, letzter Zugriff am 27.01.2020, http://www.cityforsalefilm.com/ENG/ENGdocumental.html.

[6] Werner Faulstich, Grundkurs Filmanalyse (Paderborn: Wilhelm Fink, 2013), 117.

[7] Vgl. zu diesem Abschnitt Sina Fabian, „Massentourismus und Individualität. Pauschalurlaube westdeutscher Reisender in Spanien während der 1970er- und 1980er Jahre,“ Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History. 13 (2016): 61-85, https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1416.

[8] Vgl. Thomas Urban, „Barcelona wehrt sich gegen die Touristenflut,“ Süddeutsche Zeitung, 28.02.2017, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.sueddeutsche.de/reise/spanien-barcelona-wehrt-sich-gegen-die-touristenflut-1.3390503.

[9] Vgl. Alexis Marrant, Mittelmeer in Gefahr (Frankreich: arte, 2017).

[10] David Abulafia, „Ein globalisiertes Mittelmeer: 1900-2000,“ in Mittelmeer. Kultur und Geschichte, hg. von ders. (Stuttgart: Belser, 2003), 309.

[11] Vgl. Till Bartels, „Hass auf Spanienurlauber – deshalb sind die Einheimischen so wütend,“ stern, 05.08.2017, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.stern.de/reise/europa/spanien–der-tourismusboom-schafft-nur-fake-jobs-7566322.html.

[12] Urban, „Barcelona wehrt sich.“

[13] Vgl. Thomas Urban, „Barcelona geht gegen den Massentourismus an,“ Süddeutsche Zeitung, 13.03.2018, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.sueddeutsche.de/reise/spanien-barcelona-geht-gegen-den-massentourismus-an-1.3895599.

[14] Urban, „Barcelona wehrt sich.“


Literatur und Quellen:

Abulafia, David. „Ein globalisiertes Mittelmeer: 1900-2000.“ In Mittelmeer. Kultur und Geschichte, hg. von ders., 283-312. Stuttgart: Belser, 2003.

Alvarez, Laura, Reg. City for Sale. Katalonien: Bausan Films, 2018, Vimeo, 82 Min.

Bartels, Till. „Hass auf Spanienurlauber – deshalb sind die Einheimischen so wütend.“ stern, 05.08.2017, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.stern.de/reise/europa/spanien–der-tourismusboom-schafft-nur-fake-jobs-7566322.html.

„City for Sale. A documentary film about the consequences of mass tourism in Barcelona,“ Bausan Films, letzter Zugriff am 27.01.2020, http://www.cityforsalefilm.com/ENG/ENGdocumental.html.

Fabian, Sina. „Massentourismus und Individualität. Pauschalurlaube westdeutscher Reisender in Spanien während der 1970er- und 1980er Jahre.“ Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History 13, Nr. 1 (2016): 61-85, https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1416.

Faulstich, Werner. Grundkurs Filmanalyse. 3. aktualisierte Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink, 2013[2002].

„Laura Alvarez Soler. Documentary filmmaker & multimedia producer,“ Laura Alvarez Soler, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.lauraalvarezsoler.com/about.

Marrant, Alexis, Reg. Mittelmeer in Gefahr. Frankreich: arte, 2017, Ges. am 09.07.2019, arte, 95 Min.

„‚Tourist go home‘ – Massentourismus überrollt Barcelona.“ Tagesschau-Bericht von Stefan Schaaf, 13.08.2019, YouTube Video, 05:01, https://www.youtube.com/watch?v=bP3e1bfoOKA.

Urban, Thomas. „Barcelona wehrt sich gegen die Touristenflut.“ Süddeutsche Zeitung, 28.02.2017, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.sueddeutsche.de/reise/spanien-barcelona-wehrt-sich-gegen-die-touristenflut-1.3390503.

—. „Barcelona geht gegen den Massentourismus an.“ Süddeutsche Zeitung, 13.03.2018, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.sueddeutsche.de/reise/spanien-barcelona-geht-gegen-den-massentourismus-an-1.3895599.

„Zahlen – Daten – Fakten 2018,“ Deutscher Tourismusverband DTV, letzter Zugriff am 27.01.2020, https://www.deutschertourismusverband.de/fileadmin/Mediendatenbank/Bilder/Presse/Presse_PDF/ZDF_2018_Web.pdf.

Filmlandschaft und Kulissen Italiens – zwischen Hollywood und Heimatgefühl

von Nicoletta Kolmeder (vorgetragen am 23.01.2020 als Teil des Workshops „Ein flüssiger Kontinent? Méditeranée zwischen Fiktion und Realität. Panel 1: (Film-)Geschichten und (Film-)Landschaft des Mittelmeers“)

Der Spielfilm und dessen Darstellungen sind grundsätzlich fiktiv und narrativ. Figuren und Handlungen sind meist frei erfunden oder sogar von wahren Begebenheiten inspiriert. Doch im Kern bleibt der Film, egal auf welchem Ursprung beruhend, nur eine Abbildung einer möglichen oder phantastischen Welt.
Wie fiktiv sind also die Drehorte und Kulissen im Hinblick dessen, was sie darstellen? Schauplätze im Film sind nicht nur dekorativer Hintergrund sondern in der Regel bewusst für bestimmte Szenen ausgewählt.
Ich möchte Ihnen heute Abend die Funktionen und  Bedeutung der Kulisse näher bringen. Am Beispiel Italien begeben wir uns dann auf eine filmhistorische Reise durch erbaute Kulissen und berühmte Schauplätze des Landes, die durch nationale und internationale Produktionen Aufmerksamkeit erlangten. Oft prägte dieser Umstand wiederum die Schauplätze selbst und wirkte sich auf Landschaft, Kultur und Tourismus des Landes aus.

Die Kulisse und der Schauplatz eines Films stellen für den Zuschauer Erfahrungswelten dar. Diese werden multi-dimensional vermittelt und machen sich hierfür die illusionistische Realitäts-Darstellung des Films zunutze. Das heißt, dass die Räume nicht direkt von uns erforscht werden, sondern das Bild, dass wir letztendlich sehen, von der Kamera und vorbestimmten Perspektiven bestimmt wird. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, durch bewusste Auswahl und Darstellung des Gezeigten, eine Illusion von einem eingegrenzten oder auch weiten, dreidimensionalen Raum zu schaffen, unabhängig vom tatsächlichen Format der Kulisse.

Der Film war in seiner Anfangsphase lange ein technisches und ästhetisches Experiment. Die Italienische Filmproduktion begann mit dem Rest Europas in den frühen 1900er Jahren. Zu dieser Zeit waren die Kameras während der Aufnahmen noch unbewegt. Zudem war man auf gut ausgeleuchtete Studios angewiesen, um erfolgreiche Aufnahmen machen zu können. In Italien und dem Rest Europas und Amerikas glichen die Kulissen vorerst noch den Bühnenbildern, die bereits im Theater verwendet wurden. Meist bildeten bemalte Prospekte den Hintergrund, oft sogar im Stil des Trompe-l’œil, einer illusionistischen Malerei, die dreidimensional wirkt. Die statische Kamera unterstützte dabei die Perspektive, die für diese Täuschung nötig ist.
Die Szenen, die sich vor diesen Kulissen abspielten, waren vielfältig, aber selten besonders komplex. Die Kamera und somit die Position des Zuschauers war nicht in der Lage, den abgebildeten Raum dynamisch wahrzunehmen, sondern (wie im Theater) perspektivisch begrenzt.
Das Kamerabild bietet dabei eine zentralperspektivische Sicht auf die illusionistische Raumbühne. Man folgt vor allem der Handlung und Bewegung, doch ein Nachdenken über den Handlungsort findet kaum statt.
Für die Produktion in den Studios waren die sogenannten Filmausstatter und Dekorateure sehr angesehen. Oft kamen sie tatsächlich aus dem Bereich des Theaters und sprangen während der Aufnahmen sogar selbst als Regisseure ein. Neben dem Aufgabenbereich eines Bühnenbildners fungierten sie zudem als Trick- und Kameraspezialisten. Die gewählten Hintergründe wurden zwar ungefähr der Szene angepasst, waren aber an sich schon vage genug, um immer wieder verwendet zu werden. Es gab bestimmte Einheitskulissen für komische bis hin zu religiösen Szenen.
Diese Anfangsjahre waren für Filmproduktionen weitestgehend identisch und boten kaum Besonderheiten des jeweiligen Landes.

Die technischen und ästhetischen Möglichkeiten des Films sollten erst noch entdeckt werden und damit auch komplexere Kulissen mit sich bringen.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Italien sein erstes großes Filmgenre: den Monumentalfilm. Dieser erlangte schnell beim Publikum im Inland und Ausland eine so große Beliebtheit, dass die Zahl der italienischen Produktionen stark anstieg. Im Entstehungsjahr des Genres 1905 wurden zunächst 8 Filme dieser Art gedreht, fünf Jahre später wurden dann in nur einem Jahr 561 neue Monumentalfilme produziert.
Im Gegensatz zu den Filmen der vorherigen Jahre hatten diese historisch und manchmal mythologisch inspirierten Filme einen hohen Anspruch auf Ernsthaftigkeit. Dafür wurden neue Kulissen erschaffen mit plastischen Architekturen, weshalb man auch von „Ausstattungsfilmen“ sprach.
Diese dreidimensionalen Filmarchitekturen wurden auch aus einem anderen Grund notwendig, denn immer öfter wurden nun auch Kameraschwenks eingesetzt, was komplexere Räume forderte. Die zweidimensionalen Hintergründe konnten den Entwicklungen des Mediums Film nun nicht mehr standhalten.
Zudem forderte der Monumentalfilm beeindruckende, historische Rekonstruktionen, die dem Zuschauer ein visuelles Spektakel bieten konnten.
Zuerst wurde versucht, die illusionistische Tiefe von Bühnenbildern in den Film zu übertragen, um dreidimensionale Räume anzudeuten. Schließlich entschied man sich jedoch für Architekturen in echtem Maßstab. Das Klima Italiens war dabei ideal, um außerhalb der Studios riesige Kulissen unter freiem Himmel zu bauen. Für die Beleuchtung der Szene reichte üblicherweise das starke Sonnenlicht aus.
Die Arbeit des Bühnenbildners Enrico Guazzoni war dabei bahnbrechend. Da er Hobby-Archäologe war, waren gerade historische und mythologische Kulissen sein Spezialgebiet. Er entwarf beispielsweise die Räume, Arenen, Paläste und Tempel in Brutus (1910) und Quo Vadis? (1912) und führte zusätzlich Regie.
Selbstverständlich mussten die Kulissen so verschwenderisch und prunkvoll wie möglich aussehen und nicht nur die räumliche Gestaltung wirkte gigantisch. Meist wurden mehrere tausend Statisten pro Film beschäftigt, die sich in den gewaltigen Bauten aufhielten.
Hin und wieder wurden die Dimensionen der Kulisse noch verstärkt, indem ein Durchgang oder eine Säulenreihe im Hintergrund, durch optische Täuschung, den Raum tiefer machten als er war.
Im Vordergrund und dem von den Darstellern bespielten Raum war aber alles in einem lebensgroßen Maßstab und korrekten Verhältnissen gehalten. Dadurch konnten lange Schwenks der Kamera an der Architektur entlang fahren, Perspektivwechsel stattfinden und sogar Details der Kulisse gezeigt werden. Diese neuen Möglichkeiten grenzten nicht nur die Ästhetik des Films vom Theater ab, sondern führten dazu, dass nun auch ein klarer Unterschied zwischen Bühnenbildnern und Raumausstattern des neuen Mediums gemacht wurden.

Die bedeutendste Kulissenarbeit aus der Zeit des Monumentalfilms ist in Cabiria aus dem Jahre 1913 zu sehen. Der Ausstatter war Camillo Innocenti. Bedeutend ist diese Filmarchitektur vor allem aufgrund der Gestaltung des Palastes. Prunkvolle, orientalische Dekorationen in Form von großen Elefantenstatuen und Steinsäulen lassen das Szenenbild reich und beeindruckend aussehen. Auch hier wurden perspektivische Tricks angewendet, um Räume größer aussehen zu lassen. Der bespielte Raum selbst war jedoch aufwendig und mit vielen Details in Originalgröße aufgebaut worden.
Die Ausgaben für das Bühnenbild alleine betrugen dabei mehrere Milliarden Lire und der Aufbau dauerte zwei Jahre.
Die aufgebauten Kulissen waren aber für gewöhnlich nicht dafür gedacht, von Dauer zu sein. Nach den Dreharbeiten wurde die aufwendige Arbeit zerstört, um Platz für das nächste Projekt zu schaffen. Eine Handlung die in jeder anderen Form der Architektur in der Regel stets zu vermeiden war, war für den Film ganz normal. Die Bauten waren nun mal nicht echt und das Zeugnis dieser Welten war letztendlich nur noch im Film selbst zu sehen.

Ein großer Vorteil der Kulissen, die extra für einen jeweiligen Film gebaut wurden, war, dass man diese entsprechend der Stimmung und Aussage des Films anpassen konnte. Der gebaute Raum ist während der Dreharbeiten der erste Ausgangspunkt einer Szene, der vom Regisseur genutzt und von den Schauspielern bespielt wird.

Genau dieser angepasste Ausdruck der Kulisse war auch in einem anderen italienischen Genre sehr wichtig: dem futuristischem Film. Diese Bewegung entstand kurz nach den Monumentalfilmen und die beiden Genres existierten eine Zeit lang parallel. Der futuristische Film basierte jedoch mehr auf experimentellen Kulissen und Aufnahmen. Ausgangspunkt dabei war eine Theorie, die das neue Medium im Allgemeinen weiter dachte.

Der Film als Kunstform gewann nämlich 1911 noch einmal stark an Bedeutung, als der italienische Filmhistoriker Ricciotto Canudo das „Manifest der siebenten Kunst“ verfasste. Dies verstärkte auch die Bedeutung und künstlerische Auffassung der Filmdekorationen und Kulissen. Das Manifest etablierte neben Literatur, Bildhauerei, Malerei, Architektur, Tanz und Musik den Film als siebte Kunstform zu einer Zeit, in der das Medium gerade erst begonnen hatte, seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Der Film sollte die Möglichkeit haben, alle anderen Künste in sich zu vereinen. Die Literatur wurde zur Filmhandlung, die ebenso Stimmungen, Gedanken und Gefühle auszudrücken vermag. Die Bewegung des Tanzes und der Rhythmus der Musik lassen sich auch in der Erzählstruktur und dem Bild des Films wiederfinden. Die räumliche Einrichtung der Filmszenen können neben der Malerei auch Plastiken und vor allem die dreidimensionale Architektur für sich nutzen.

Die futuristische Bewegung in Italien konzentrierte sich darum in großer Zahl auf den Film, der als neues Medium an sich schon einen futuristischen Charakter barg. Mit dieser Ansicht beschäftigte sich erneut ein Manifest namens „La cinematographia futurista“, das 1916 von Marinetti verfasst wurde. Aus dieser Zeit sind kaum Aufnahmen erhalten und heute haben wir lediglich Standbilder von wenigen Filmen, unter denen wir uns den futuristischen Film Italiens vorstellen können. Zu Beginn erkannten selbst die Futuristen nicht, welche Möglichkeiten der Film in der Raumdarstellung bieten kann und auch sie experimentierten viel mit verschiedenen Vorgehensweisen. Es gab bereits vor dem ersten Weltkrieg Versuche, die Aufnahmen mit reinem Licht machten. Jedoch wurde später vor allem auch die Miteinbeziehung der Architektur gefordert. Stilistisch waren die Ergebnisse jedoch mehr dem Dadaismus und Surrealismus zuzuordnen. Keiner der Filme konnte scheinbar die futuristischen Vorstellungen und Theorien erfolgreich in die Praxis umsetzen.

Der heute bekannteste italienische Film dieser Zeit ist jedoch Thais. Dieser beinhaltete abstrakte und illusionistische Elemente in seiner Kulisse, doch heute sind nur noch Standbilder dieser erhalten. Jedoch hatte die Kulisse wohl bedeutende Bezüge zur Handlung, vor allem aber spiegelte sie die Mimik, Gestik und Emotionen der Hauptfigur wieder. Die unruhigen Bewegungen waren in den verzerrten, geometrischen Hintergründen wiederzufinden.

Während und nach den Weltkriegen sah sich Italiens Filmproduktion immer wieder mit wirtschaftlichen und kreativen Schwierigkeiten konfrontiert. Der geld- und zeitaufwändige Monumentalfilm hatte starke Einbußen und verschwand langsam, vor allem auch, da nach Cabiria kaum einer einen ebenbürtigen Anschluss fand.
Das Medium Film wurde immer wieder als politisches Kriegspropagandamittel genutzt und für experimentelle Aufnahmen fehlten meist Geld und Ressourcen.
Zwischen den Kriegen, im Jahre 1937, wurde von Benito Mussolini die Cinecittà errichtet, eine Filmstadt in der Nähe von Rom.
In den hier entstehenden Filmen entwickelte sich nach einiger Zeit ein neuer Trend im Produktionsablauf.
Ursprünglich aus Hollywood kam die Idee, einem production designer die Planung und Koordinierung bestimmter ästhetischer Elemente zu überlassen. Die Filmarchitektur sowie Licht und teilweise Kamera fielen nun in das Zuständigkeitsgebiet dieser Position. Für die kreative Ausführung war der art director zuständig, unter dessen Anweisungen die verschiedenen Künstler und Handwerker arbeiten. Dies führte zu einer verstärkten Spezialisierung der Gebiete und einer höheren Effektivität. Die kreative Freiheit der ursprünglichen Filmausstatter wurde dadurch aber deutlich eingeschränkt.

Nach dem zweiten Weltkrieg kam es zu einer Wendung für die Filmkulissen. Die Cinecittà Studios waren durch den Krieg beschädigt und wurden zudem von Kriegsflüchtlingen als temporäre Unterkunft genutzt. Somit kam es erneut zu einem Schauplatzwechsel. Die italienischen Regisseure des Neo-Realismus nutzten die Straßen der vom Krieg zerstörten Städte als Handlungsort ihrer Filme. Der Bekannteste unter ihnen war Roberto Rossellini.
Wichtig im Hinblick der Kulisse ist, dass die Nachkriegszeit, aus einer Not heraus, den Realschauplatz als Drehort erfand. Dieser Raum konnte zwar nicht mehr durch seine kreative Künstlichkeit der Handlung angepasst werden, jedoch hatte er einen umso größeren Realitätsgehalt.

Dieser reale Schauplatz sollte sich noch lange halten. Echte, historische oder bekannte Architekturen und Sehenswürdigkeiten sorgten für ein Wiedererkennungsmerkmal und konnten auch ausländischem Publikum ein authentischeres Bild eines Landes durch das Medium des Spielfilms bieten.
Bekannte Stadtbilder geben dem Zuschauer zudem ein Gefühl der Vertrautheit.
Diese Vertrautheit kann aber auch einen Ansatz für Manipulation bieten. Durch die Kamera können beispielsweise Blickwinkel geboten werden, die für den normalen Spaziergänger oder Touristen ungewohnt sind. Der Schauplatz kann mit durchdachten Detailaufnahmen oder Montagen inszeniert werden, um eine bestimmte Aussage zu erreichen.

Durch Ausstattung des Realschauplatzes mit kulissenhaften, für den Film gebauten Elementen wird das Bild wieder teilweise der Handlung unterworfen.

Einer der bekanntesten italienischen Filme vereint ebenfalls diese Elemente von Realschauplätzen und Kulissen für das ästhetisierte Filmbild. La dolce vita (oder sein deutscher Titel Das süße Leben) von Federico Fellini erschien im Jahre 1960. Zu dieser Zeit war die Straße als Drehort bereits etabliert, jedoch war auch Roms Filmstadt Cinecittà wieder in Betrieb. Die Filmhandlung führt durch einige bekannte Schauplätze Roms. Vielen wird vielleicht auch die Szene bekannt sein, in der die Hauptfiguren in den Trevi-Brunnen steigen. Die meisten Orte, die zu sehen sind, sind die Originale aus Rom, die durch Dekoration und Kulissen-Elemente teilweise angepasst wurden.
Realschauplätze bieten eine gute Vorlage als Drehort. Allerdings gibt es hier für die Regisseure eine große Hürde zu beachten: Drehgenehmigungen.
Fellini stieß bei La dolce vita auf genau dieses Problem. Für die Via Vittorio Veneto, in der ein Großteil des Films spielt, konnte keine Genehmigung für geeignete Uhrzeiten ausgestellt werden. Um das Problem zu beheben, hat man diese Straße schließlich detailgetreu in der Cinecittà nachgebaut.

Auch Produktionen aus Hollywood wurden auf Italien als Filmschauplatz aufmerksam. Bereits für den Film Ben Hur von Fred Niblo aus dem Jahre 1925 beschlossen die Produzenten, den Drehort nach Italien zu verlegen. Sie erhofften sich dadurch eine verstärkte Authentizität für den Gladiatorenfilm. Auch diese Verfilmung fiel in den Trend der schon erwähnten Monumentalfilme, die ursprünglich aus Italien stammten. Auch deswegen erhofften sich die amerikanischen Produzenten, dass ihnen erfahrene Mitwirkende aus diesem Genre helfen konnten. Das aufwändige Produktionsvorhaben wurde jedoch von Unglücksfällen getroffen und schließlich wurden die Dreharbeiten in Italien abgebrochen und stattdessen in Los Angeles fertig gestellt.

Doch immer wieder und noch bis heute werden amerikanische Produktionen in Italien aufgenommen. Meist, um ein bestimmtes Lebensgefühl des Landes zu vermitteln.
Auch hier werden natürlich regelmäßig Realschauplätze angepasst, um der Filmhandlung genau den gewünschten Hintergrund zu bieten. Die Traumfabrik Hollywood vermittelt dem Zuschauer dadurch genau das, was beabsichtigt wird und durch diese inszenierte Atmosphäre wird natürlich auch der Tourismus beeinflusst.
Ein bekanntes Beispiel sind die Touristenströme, die nach dem Film Illuminati aus dem Jahr 2009 nach Italien kamen. In dem Film begibt sich Protagonist Robert Langdon auf eine Spurensuche durch Rom, um eine Verschwörung aufzudecken. Dabei bieten Sehenswürdigkeiten und Architekturen Hinweise für die nächste Station des Rätsels. Der Film von Ron Howard basierte zwar auf dem Roman von Dan Brown, aber erst durch die Visualität des Films und die Realschauplätze, die der Zuschauer zu sehen bekam, wurden viele inspiriert, die Spurensuche durch Rom selbst anzutreten. Doch genau die Hinweise, denen Langdon im Film folgt, existieren nicht bzw. nicht in dieser Form an den gezeigten Sehenswürdigkeiten. Trotzdem boten viele Stadtführer auf den Film abgestimmte Führungen an, um den Touristen den Irrweg durch die Fiktion zu ersparen.

Und diese Stadtführungen und Rundreisen, die zu Film- oder Serien-Schauplätzen führen, sind in Italien (und dem Rest der Welt) bei weitem keine Seltenheit. Internetseiten dokumentieren zum Teil genau, wo was gedreht wurde und Touristen, die wegen einem bestimmten Film den Ort besuchen, stellen meist für ein Foto die Szenen nach, was aber nicht selten gefährlich oder sogar verboten sein kann. Die Fiktion eines Films bedeutet eben, dass es nicht immer eine gute Idee ist, die Handlungen nachzuahmen.

Eine Option des Drehortes von Italien blieb bis jetzt noch unerwähnt. Trotzdem soll abschließend noch kurz auf diese eingegangen werden. Landschaften. Räume ohne Architektur oder in der diese eine untergeordnete Rolle einnimmt. Oft sind die Landschaftssequenzen Symbol der Grenzenlosigkeit, der Freiheit und der Natur. Sie sind, anders als die für den Film gebauten Kulissen und die realen Schauplätze der Städte, ein Raum, der vom Menschen unberührt ist. Die bekanntesten Beispiele dieses Raums im Italienischen Film kommen wohl aus dem Genre, das noch nicht einmal Italien darstellt und trotzdem das Bild mit seiner ursprünglichen Landschaft prägt: dem Italo-Western. Zum größten Teil wurden in diesem Genre zwar auch Aufnahmen in den Wüsten Spaniens gemacht, aber es gibt auch zahlreiche Drehorte in Italien selbst, die dafür genutzt wurden.
Obwohl es sich um Landschaft handelt, ist auch hier der Filmraum architektonisch komponiert. Die Merkmale der Landschaft werden genau wie die gebauten Elemente der Stadt eingesetzt und inszeniert. Wenn es sich jedoch nicht um natürliche Sehenswürdigkeiten handelt, fällt der Aspekt der Wiedererkennung weg. Genau das gibt der Landschaft das Potenzial, „verwechselbar“ zu werden und beispielsweise durch seine Ähnlichkeit mit der amerikanischen Landschaft als Schauplatz für ein anderes Land zu dienen.
Bis heute werden Filme in erster Linie an mal mehr, mal weniger modifizierten Realschauplätzen gedreht, die sich immer noch gegen den wieder künstlich werdenden digitalen Raum behaupten können. Die Bilder und Kulissen selbst bedienen sich einer ganzen Palette an künstlichen Einflüssen, Darstellungen und bewussten Inszenierungen, was den Schauplatz eines Films genauso künstlich macht wie das Medium selbst.

Die Realität sieht oft ganz anders aus.


Quellenverzeichnis
Koppel, Helga: Film in Italien. Italien im Film. Berlin: Henschelverlag, 1970.
Neumann, Dietrich [Hg.] : Filmarchitektur. Von Metropolis bis Blade Runner. München: Prestel- Verlag, 1996.
Weihsmann, Helmut: Gebaute Illusionen. Architektur im Film, Wien: Promedia, 1988.

Online
Bayer, Tobias: „Hollywood dreht wieder in der Legende Cinecittà“. In: Welt. <https://www.welt.de/wirtschaft/article139947108/Hollywood-dreht-wieder-in-der-Legende-Cinecitta.html>, letzer Zugriff: 20.01.2020.
Rizzo, Alessandra: „Rätsel des „Illuminati““. In: Der Spiegel. <https://www.spiegel.de/reise/staedte/rom-fuehrung-raetsel-des-illuminati-a-340988.html>, Letzter Zugriff:20.01.2020.
Squires, Nick: „British woman wades into Rome’s Trevi Fountain in imitation of Anita Ekberg in La Dolce Vita“. In: The Telegraph. <https://www.telegraph.co.uk/news/2016/07/19/british-woman-wades-into-romes-trevi-fountain-in-imitation-of-an/>,  letzter Zugriff: 20.01.2020.

Das Mittelmeer als Begegnungsraum. Kulturelle Spannungen in den Filmen von Roberto Rossellini

von Mark Alan Luxenhofer (vorgetragen am 23.01.2020 als Teil des Workshops „Ein flüssiger Kontinent? Méditeranée zwischen Fiktion und Realität. Panel 1: (Film-)Geschichten und (Film-)Landschaft des Mittelmeers“)

Roberto Rossellini ist ohne Zweifel einer der einflussreichsten Filmregisseure aller Zeiten. Zu Lebzeiten war der Italiener ein Weltstar, der regelmäßig zwischen Rom und Hollywood changierte. Er war mit der bekanntesten Schauspielerin ihrer Zeit verheiratet – Ingrid Bergman, mit der er zahlreiche Filme drehte und auch der spätere Meisterregisseur Federico Fellini lernte unter ihm. Die Filmwissenschaft hat deshalb bereits zahlreiche Forschung zu den Filmen des Vaters des Neorealismus produziert und die Frage ist sicher berechtigt, ob es denn überhaupt noch einen weiteren Vortrag zum Schaffen des Autorenfilmers brauche. Doch gerade heute unter dem Aspekt einer turbulenten, sich rasch veränderten und immer internationaleren Welt, erscheint es mir umso wichtiger, wieder einen Blick auf Roberto Rossellinis Schaffen zu werfen. Ich möchte Ihnen in den nächsten zwanzig Minuten zeigen, wieso Rossellinis Filme auch heute, 75 Jahre nach dem Erscheinen von Rom, offene Stadt, der für viele Forscher erstmals all die Motive vereinte, die später als italienischer Neorealismus in die Filmgeschichte eingingen, nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Dafür will ich vor allem einen Teilaspekt in Rossellinis Werk herausnehmen und näher analysieren: Dem des semantischen Raumes des Mittelmeers als Raum der Begegnung verschiedenster Kulturen im Angesicht der größten Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts: dem zweiten Weltkrieg. Denn Rossellinis Filme verhandeln immer und immer wieder das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Kulturen und Lebensrealitäten im Mittelmeerraum. Dafür möchte ich hauptsächlich auf drei Filme eingehen, die meiner Meinung nach exemplarisch für das gesamte Schaffen des Italieners angesehen werden können: Rossellinis 1946 erschienener Episodenfilm Paisá, sowie Rossellinis erstem Film mit seiner späteren Frau Ingrid Bergman Stromboli und dem 1954 erschienen Reise in Italien, ebenfalls mit Ingrid Bergman. In den nächsten Minuten möchte ich Ihnen vor allem darstellen, welche Rolle der filmische Raum in den interkulturellen Beziehungen in den Filmen von Roberto Rossellini spielt. Dafür muss ich zunächst aber einmal einen Bogen zur Literaturtheorie schlagen:

Juri Lotman definierte in seiner Theorie ein literarisches Ereignis einmal folgendermaßen (ich paraphrasiere): Damit ein Ereignis stattfinden kann, muss zunächst immer eine Grenzüberschreitung gegeben sein. Ein oder mehrere Charaktere müssen aus einem semantischen Raum in einen anderen übertreten. Lotmans Theorie lässt sich selbstverständlich gleichermaßen auch auf den Film anwenden.

Denn ein filmischer Raum ist immer semantisch, das heißt, mit für ihn spezifischen Merkmalen ausgestattet. Der semantische Raum Berlins in Rossellinis Deutschland im Jahre Null zum Beispiel ist mit Zerstörung, Verzweiflung, Armut und Ungewissheit semantisiert. Gleichermaßen ist ein Raum immer auch eine Projektion des Innenlebens der Figuren, die ihn navigieren müssen, wie August Schmarsow in „Das Wesen der architektonischen Schöpfung“ beschreibt: „Das Raumgebilde ist eine Ausstrahlung gleichsam des gegenwärtigen Menschen, eine Projektion aus dem Inneren des Subjekts, gleichviel ob es leibhaftig darinnen ist oder sich geistig hineinversetzt“. Schmarsow bezieht sich hier vor allem auf die Architektur als Ausdruck menschlicher Kreativität, doch wie ich Ihnen im Folgenden darstellen möchte, so ist auch der filmische Raum ein architektonischer, das heißt ein vom Filmemacher penibel konstruierter Raum – ganz gleich ob es sich um ein Studioset handelt oder, wie im Fall von Rossellini und seinen Zeitgenossen, vor allem um Originalschauplätze.

Als Rom, offene Stadt kurz nach Kriegsende 1945 erschien, schlug der Film hohe Wellen in der zeitgenössischen Filmkritik. Rossellinis Film war anders als alles, was die Filmkritik der 1940er Jahre gewohnt war. Anders als die Filme Hollywoods, die mit aufwändig konstruierten Sets und einer sorgfältig geplanten Lichtsetzung aufwarteten, hatte Rom, offene Stadt fast schon dokumentarischen Charakter. Gedreht wurde nicht im Studio, sondern direkt auf den Straßen Roms in den letzten Wochen des zweiten Weltkrieges. Die Produktionszustände waren so verheerend, dass Rossellini das Zelluloid auf dem Schwarzmarkt kaufen musste und nicht in der Lage war, das Material zu sichten, bevor die Dreharbeiten abgeschlossen waren. Die Wahl von real-existenten Sets war jedoch keine gänzlich freie. Die Cinecittà-Studios waren durch den Krieg fast gänzlich zerstört, sodass es nicht möglich war, den gesamten Film in einem Studio-Setting zu drehen. Rossellini und sein Team gingen also hinaus auf die Straßen und drehten zum großen Teil mit nicht-professionellen, örtlichen Schauspielern. Obwohl eines der wichtigsten Sets des Films, das Hauptquartier der Nazis in Rom, im Studio gebaut werden konnte, entschied man sich, für viele Szenen authentische Orte aufzusuchen. So wurde für die Kirche von Don Pietro extra eine Kirche ausgewählt, die derselben Gemeinde angehörte wie die eines tatsächlich ermordeten Priesters des italienischen Widerstandes. Die Filmkritik feierte die Raumgestaltung Rossellinis und seiner Mitstreiter (allen voran Vittorio de Sica und Luchino Visconti) als einen zuvor nie dagewesenen Grad an filmischen Realismus und der Einsatz von echten Sets wurde schnell zu einem der Hauptmerkmale des Neorealismus erhoben.  

Wie künstlerisch Rossellini diese in Szene zu setzen weiß, zeigt sich am Ende des Films, wie Maria Spelleri in ihrer Analyse des Films treffend beobachtet:

„For example, in the last scene of Rome Open City, the priest Don Pietro is executed in a field. The camera pans left to the watching children, who turn to walk away, a view of the city behind them. The micro-level human tragedy in that anonymous space is contrasted with a sense of grandeur and timelessness of the beautiful „eternal“ city, bringing to mind the many micro-tragedies that it holds, and has held within its boundaries, and which, perhaps most importantly, were endured and overcome.”

Das Motiv des filmischen Raumes als Projektion der vielen menschlichen Einzelschicksale, die ihn navigieren, ist am evidentesten in Rossellinis nächstem Film, dem Episodenfilm Paisá.

Der Film ist benannt nach dem Begriff, mit welchem die amerikanischen Soldaten während des zweiten Weltkrieges die Einwohner Italiens bezeichneten und verweist somit schon im Titel darauf, dass die Begegnung unterschiedlicher Kulturen im besetzten Italien eines der zentralen Motive des Films bildet. Dabei erweitert Rossellini den filmischen Raum. Spielte Rom, offene Stadt noch an Originalschauplätzen in Rom, ist Paisá in sechs Episoden unterteilt, die von Sizilien, über Neapel und Rom bis in die ländlichen Gebiete der Romagna und Po-Ebene reichen. Gedreht wurde dabei ausschließlich an Originalschauplätzen. Aufgrund der Kürze der Zeit will ich an dieser Stelle nur auf eine Episode eingehen, die meiner Meinung nach exemplarisch zeigt, inwiefern der filmische Raum in Rossellinis Filmen als Ort der Begegnung und Differenz angesehen werden kann.

In der zweiten Episode, die ihn Neapel spielt, trifft der afroamerikanische US-Militärpolizist Joe auf einen kleinen italienischen Jungen namens Pasquale. Joe ist dabei stark angetrunken und lässt sich von Pasquale, der nur darauf aus ist, diesen zu bestehlen, in ein Puppentheater führen. Das Puppentheater im Film steht dem semantischen Raum des zerstörten Neapels konträr gegenüber. Es ist semantisiert mit spaßiger Leichtigkeit und ist fast eine Oase inmitten der Kriegswirren der Stadt. Joe wirkt indes jedoch inmitten der ausgelassenen Szenerie wie ein Fremdkörper. Die Grenzüberschreitung der Schwelle zum Theater, bedingt nach Lotman bereits ein Ereignis, da Joe als Afroamerikaner und Nicht-Italiener nicht in die allgemeine Semantik des Raums passt. Stark betrunken und offensichtlich zum ersten Mal in seinem Leben in einem Puppentheater, stürmt er zum Missfallen aller auf die Bühne.

Pasquale gelingt es, Joe hinauszuführen, bevor die Situation völlig eskaliert und die beiden machen Rast inmitten einer zerbombten Gebäuderuine, wo Joe beginnt, Pasquale in einer träumerischen Wunschvorstellung von New York City zu erzählen. Da Joe den Namen des Jungen nicht kennt, redet er ihn immer wieder mit „Paisá“ an. Zwischen den beiden besteht eine kulturelle Barriere, die in dieser Szene vor allem sprachlich dargestellt wird, da Pasquale kein Wort dessen versteht, was Joe ihm erzählt und Joe in dem Jungen nur einen von vielen „Paisás“ sieht. Dennoch scheinen sich die beiden, die beide aus ärmlichen Verhältnissen stammen, anzunähern. Sie scherzen und haben sichtlich Spaß. Die Szene endet damit, dass Joe einschläft und Pasquale ihn davor warnt, jemand würde ihm die Stiefel stehlen, wenn er dies tut. Später erfährt der Zuschauer, dass ihm Pasquale selbst die Stiefel gestohlen hat.

Tatsächlich trifft Joe später erneut auf den Jungen. Zunächst erkennt er ihn nicht, doch schließlich stellt er fest, dass er der Junge war, der ihm die Stiefel gestohlen hat. Erbost fordert Joe Pasquale auf, ihn zu seinen Eltern zu bringen und ihm die Stiefel zurückzugeben. Pasquale führt Joe daraufhin zu einem Lager am Fuß eines Berges, in welchem Obdachlose in einer Gemeinschaft hausen. Joe ist sichtlich erschüttert über den Zustand, in welchem die Menschen dort leben müssen und sein Zorn weicht allmählich Mitleid. Als er Pasquale erneut fragt, wo seine Eltern sind, antwortet dieser, sie seien bei einem Luftangriff der Alliierten ums Leben gekommen. Denn trotz der sprachlichen Barriere versteht Joe die Worte „bomba“ und „bum bum“ sehr wohl. Entsetzt und beschämt über die Konsequenzen des Handelns seiner Landsleute, überlässt er den Jungen die Stiefel und fährt wortlos von dannen. Es ist einer der menschlichsten und zugleich traurigsten Momente im Film. Als Joe den Raum sieht, in welchem Joe und die anderen „Paisás“ leben, werden die Grenzen zwischen Besatzern und Besetzten mit einem Schlag aufgehoben. Genau wie die Wände der zerstörten Häuserruinen, in welchen sich Joe und Pasquale zum ersten Mal trafen, so reißt Rossellini auf diese Weise die kulturelle Barriere zwischen dem Amerikaner und dem italienischen Jungen ein. Der Raum selbst verweist also direkt auf die Beziehung der beiden anfangs so konträren und doch so ähnlichen Figuren.  

Stromboli erzählt die Geschichte eines Flüchtlingsmädchens, das sich von ihrer Heimat vertrieben, in einem Lager in Italien einfindet. Dort gefangen und ohne die Möglichkeit auszureisen, verbringt sie ihre Tage voller unerträglicher Monotonie und Unsicherheit. Das ändert sich, als sie den Fischer Antonio kennenlernt, in welchen sie sich zunächst verliebt. Durch die Heirat mit dem Italiener gelingt ihr endlich die Ausreise aus dem Lager. Doch ihr neues Zuhause auf einer kargen Mittelmeerinsel entpuppt sich schnell als neues Gefängnis. Die Inselbewohner können den Neuankömmling nicht akzeptieren und Karin stellt schnell fest, dass die kulturellen Differenzen tiefe Gräben zwischen ihr und ihrem Ehemann aufwerfen.

Ihre Versuche das eigene Heim aufzuhübschen beispielsweise, stoßen bei ihrem Mann und den Inselbewohnern auf Ablehnung, die in Karins Verhalten einen direkten Angriff auf die eigene Lebensweise sehen. Hinzu kommt die sprachliche Barriere, da Karin kein Italienisch spricht.

Als Karin auf einer ihrer vielen einsamen Wanderungen über die Insel auf einen kleinen Jungen trifft, spiegelt sich in ihren Worten die ganze Verzweiflung über die Unmöglichkeit ihres Lebens in einem ihr völlig fremden semantischen Raum. „Talk to me, talk“, wiederholt sie immer wieder. Doch der Junge antwortet stets nur mit dem einzigen Wort, das er kennt: „No.“ Anders als in Paisà findet in Stromboli keinerlei Annäherung statt. Genau wie in dem kargen, toten Raum der Insel, kann auch zwischenmenschlich nichts wachsen. Karins Bemühungen bleiben vergeblich, da sie auf genauso unfruchtbaren Boden fallen wie der Steinboden der Insel selbst. Über allem schwebt dabei bedrohlich der Vulkan Stromboli, der dem Film seinen Namen gibt. Es erscheint nur eine Frage der Zeit, bis er, genau wie interkulturellen Spannungen auf der Insel, explodiert – was später auch passiert. Noch mehr als in seinen vorherigen Filmen, spiegelt sich in der Kulisse von Stromboli die gesamte Gefühlswelt seiner Hauptdarstellerin wider. Die Art und Weise wie Rossellini den Raum der Mittelmeerinsel als Projektion seiner Figuren nutzt, sollte später großen Einfluss auf die Filme vieler seiner Kollegen nehmen – allen voran Michelangelo Antonioni und dessen 1960 erschienenen Film L’Avventura. Um den zentralen Konflikt seines Films zu integrieren, wählt Antonioni ebenfalls die steinernen Inseln des Mittelmeerraums als Schauplatz. Die karge Landschaft der Mittelmeerinsel stellt eine Projektion des Innenlebens seines Protagonisten dar, der hin und hergerissen ist zwischen der Liebe zu einer anderen Frau und dem Pflichtgefühl gegenüber seiner Freundin, die zu Beginn des Films bei eben jenem Ausflug auf die Insel spurlos verschwindet.

Auch in Reise in Italien verhandelt Rossellini wiederum das Motiv der kulturellen Begegnung. Die Kulturen sind jedoch nicht nur wie in Rom, offene Stadt oder Paisà aufgrund ihrer jeweiligen Lebensrealitäten miteinander verbunden, sondern sogar über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg.

In Reise in Italien reist das unglücklich verheiratete britische Ehepaar Kathrine und Alex Joyce, gespielt von abermals Ingrid Bergman und George Sanders, nach Italien, um die von Alex Onkel geerbte Luxusvilla zu besichtigen, mit dem Ziel diese zu verkaufen. Von einem schönen Urlaub kann jedoch alles andere als die Rede sein. Es ist Winter in Italien und die Kälte des Raumes reflektiert die Kälte, die Kathrine und Alex‘ Beziehung mittlerweile eingenommen hat, zu unterschiedlich sind doch die Lebensvorstellungen der Beiden. Alex hat sich immer Kinder gewünscht, Kahtrine lehnte dies jedoch ab. Kathrine zeigt sich beeindruckt von der italienischen Kunst und Dichtung, Alex wiederum blickt nur spöttisch auf sie herab. Im fremden semantischen Raum Italiens schließlich entladen sich die Spannungen, die sich, so impliziert der Film zumindest, bereits über Jahrzehnte zwischen den beiden aufgebaut haben.

Dabei befinden sich beide Eheleute beinahe den gesamten Film über in jenem Spannungsverhältnis aus Anziehung und Ablehnung gegenüber dem fremden semantischen Raum Italiens. Alex kann zwar der italienischen Kunst oder dem Landleben nichts abgewinnen, wohl aber dem italienischen Lebensgefühl und ganz besonders den italienischen Frauen. Mehrfach ist er im Verlaufe des Films kurz davor, Kathrine zu betrügen, die sich wiederum ihrerseits dem ein oder anderen Flirt nicht unbedingt abgeneigt zeigt. Immer wieder werden im Verlauf des Films zudem Kulturstätten aufgesucht.

Nach ihrem ersten großen Streit beispielsweise, fährt Kathrine in die Stadt und besucht ein Museum, das sie zwar zunächst fasziniert, mit längerer Laufzeit jedoch immer mehr zu beunruhigen scheint. Der Blick der vielen römischen und griechischen Statuen scheint sie förmlich zu durchbohren. Im Raum des Museums trifft die antike Kultur des Mittelmeers zusammen mit der modernen Lebensrealität von Kathrine, die Einheit von Zeit und Raum, die Aristoteles einst als höchste Regel des antiken Dramas ausrief, scheint hier mit einem Male nicht mehr zu gelten. Nicht nur Kathrine trifft in jener Szene auf die Schatten einer Vergangenheit, die sie zwar fasziniert, die sie jedoch nicht gänzlich einzuordnen vermag; auch die moderne Kunstform des Films trifft auf die der bildenden Kunst.

In einer der Schlüsselszenen des Films schließlich besucht das Ehepaar eine Ausgrabungsstätte in Pompeji, in welcher der Gipsausguss eines toten Paares freigelegt wird. Für Kathrine ist die Szene zu viel und sie möchte den Ort sofort verlassen. In jener Szene wird den beiden nicht nur die eigene Sterblichkeit vor Augen geführt, sie ist gleichsam eine Metapher auf die Vergänglichkeit ihrer eigenen Ehe. In dieser simplen und doch so kraftvollen Szene verbindet Rossellini erneut Vergangenheit und Zukunft. Kathrine fühlt sich seltsam verbunden mit dem jahrtausende altem Paar, da ihr in dieser Szene klar wird, dass die kulturellen Barrieren, die sie bisher für gegeben erachtet hat, in jenem Moment nicht existieren. Fühlte Kathrine sich im Raum des Museum noch wie ein Fremdkörper, so gelingt es Rossellini in jener Szene genau das Gegenteil dessen darzustellen. Kathrine wird bewusst, dass die Themen um Liebe, vor allem unerfüllter, schmerzhafter Liebe, die Menschheit selbst überdauern. Anders als in der Mueseumsszene entspringt Kathrines Unwohlsein hier nicht dem Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Es ist ein Moment tief empfunden Mitleids, einer geteilten Menschlichkeit, ein Moment kultureller Begegnung auf Augenhöhe, trotz zeitlicher Diskrepanz. Kathrine produziert ihre gesamte Gefühlswelt auf das tote Paar vor ihren Augen. Sie verschmilzt, wenngleich nur für einen kurzen Moment, komplett mit ihnen und geht auf im filmischen Raum. Gleichzeitig kann jene Szene als eine Reflektion über das Wesen der Kunst selbst betrachtet werden. Rossellini zeigt seinem Zuschauer, dass selbst die moderne Kunstform des Films (eine Kunstform, die in den 50iger Jahren noch sehr jung war), in der Tradition der Antike steht und sich – bei aller technischer Innovation – die Motive seit Jahrtausenden wiederholen.

Es ist bezeichnend wo das Ehepaar schließlich wieder zusammenfindet: Als sie sich inmitten der San Gennaro Prozession verirren und real räumlich voneinander getrennt sind, erkennen beide, was es wirklich bedeuten würde, von nun an getrennte Wege gehen zu müssen. Die Hektik des Raumes kontrastiert hier das erneute emotionale Zueinanderfinden der Ehepartner. Es ist die hektischte und gleichzeitig harmonischte Szene des Films. Sowohl Kathrin als auch Alex haben die eigene Realität akzeptiert und versuchen nicht mehr, dagegen anzukämpfen. Sie gehen unter im Raum, in der Masse der Menschen und verfolgen, eng an sich haltend, das ihnen scheinbar so fremde Schauspiel.

Mit Reise in Italien konnte Rossellini seinerzeit nicht an seine Welterfolge wie Stromboli oder Europa 51 anknüpfen. Die zeitgenössische Filmkritik zeigte sich von jener Langsamkeit der Handlung und vor allem von Rossellinis Raumdarstellung mit seinen vielen Ortswechseln irritiert und manche Kritiker gingen gar so weit, dem Regisseur einen Berufswechsel nahezulegen. Heute gilt Reise in Italien jedoch nicht nur als eines der größten Werke des italienischen Meisterregisseurs, sondern gleichsam als eines der ganz großen Werke des Films. Viele Kritiker sehen in Reise in Italien den ersten Film der filmischen Moderne. Darüber lässt sich sicherlich streiten. Unbestritten ist jedoch, dass Reise in Italien das gesamte Können Rossellinis offenbart. In keinem anderen Film des Regisseurs wird die Einheit zwischen Figur und Raum, die das gesamte Schaffen Rossellinis durchzieht, so deutlich wie hier. Reise in Italien ist nicht nur der erste wirkliche „Roadmovie“ der Filmgeschichte, es ist zugleich eine Lehrstunde filmischen Erzählens durch den Raum selbst. Es ist eben jene inszenatorische Brillianz, die den Filmemacher Jacques Rivette später zu der Aussage hinreißen ließ, mit dem Erscheinen von Reise in Italien seien alle anderen Filme schlagartig um zehn Jahre gealtert.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen in den letzten knapp zwanzig Minuten näherbringen, warum Roberto Rossellinis Filme es wert sind, noch heute gesehen und genauer analysiert zu werden. Der Vater des Neorealismus und Wegbegründer der cineastischen Moderne verhandelt in seinen Filmen immer wieder das Aufeinandertreffen scheinbar konträrer Ideologien und Weltanschauungen. Manchmal poetisch tragisch, wie in der zweiten Episode in Paisà, manchmal mit erdrückender Melancholie wie in Stromboli, oder sensibel und intim wie in Reise in Italien.

Dabei macht Rossellini den Raum selbst, durch welchen sich Figuren und Kamera bewegen, zum Protagonisten seiner Filme. Wenig Regisseure vor oder nach Rossellini verstanden es derart gut, die filmische Bühne so zu nutzen, wie es der Italiener tat. Genau wie die versteinerten Liebenden in Reise in Italien, so werden deshalb auch Rossellinis Filme die Zeiten überdauern.

Zwischen Be- und Entgrenzung. Das Paradox Mittelmeer(raum)

von Patryk Maciejewski (vorgetragen am 25.01.2020 als Teil des Workshops „Ein flüssiger Kontinent? Méditeranée zwischen Fiktion und Realität. Panel 2: Das Mediterraneum als Grenz- und Kulturraum“)

Das Mittelmeer galt schon zu antiken Zeiten als Ort des Transfers von Ideen, Gütern und Kulturen. Es war nicht nur Schauplatz der ersten, mediterranen Globalisierung, sondern schon immer auch Ort massiver Migrations- und Kolonisationsbewegungen. Ob Phönizier, Etrusker oder Römer, ob Ragusa oder Venedig: Das Mittelmeer floss, wörtlich und metaphorisch. Dieser Auffassung vom Méditerranée als Transferraum steht unsere heute Vorstellung vom Grenzgebiet Mittelmeer, als das Trennende, das Fremd- und Andersartigkeit Erschaffende, entgegen. Beispiele hierfür finden sich nicht nur im aktuellen Flüchtlingsdiskurs. An kaum einem anderen Ort spürt man die Auswirkungen des Nord-Süd-Konfliktes mehr als am Mittelmeer. Hier stellt sich die Frage: Wie kann ein Raum als trennende Grenzlinie und gleichzeitig als Ort des Austausches verstanden werden?

Bevor wir uns diesem Spannungsverhältnis zwischen Be- und Entgrenzung widmen, müssen wir zunächst die beiden Raumkonzeptionen gesondert untersuchen und ihre historische Herkunft in Betrachtung nehmen. Zu diesen Zwecken werden wir auf das Medium Karte zurückgreifen, das, insbesondere in Zeiten der vormodernen Kartographie, Informationen über das Weltbild und die Denktradition einer Epoche liefern kann. Anhand von ausgewählten Karten werden wir die historische Veränderung und Entwicklung der Mittelmeerimaginationen nachverfolgen und versuchen, das dichte semantische Netz aus arbiträren Grenzsetzungen, ethnischer Vielfalt und kulturellem Austausch besser nachzuvollziehen.

Gehen wir zunächst einen Schritt zurück und fangen bei der Bezeichnung dieses Gewässers an. Diese suggeriert bereits eine gewisse räumliche Ordnung: Mediterraneum, Mittelhavet, Morze Śródziemne. Die Vielfalt ist groß, doch zumindest scheinen sich die europäischen Sprachen in einer Sache einig zu sein: In den 24 Amtssprachen der EU besteht die Bezeichnung für dieses Gewässer stehts aus zwei Teilen: ‚Mitte‘ oder ‚zwischen‘ und ‚Land‘ bzw. ‚Erde‘. Das Meer in der Mitte bzw. das Zwischenmeer. Doch welche Mitte ist hier gemeint? Zwischen welchen Polen befindet sich dieses Gewässer? Zwischen Europa und Afrika? Um das herauszufinden, müssen wir zu den Anfängen der westlichen Kultur blicken. Die gemeinsamen Wurzeln dieses Hydronyms gehen nämlich auf die griechische Bezeichnung ***mesogaios zurück, das, wie erwähnt, „in der Mitte des Landes bzw. der Landmasse“ oder ‚mittelländisch‘ bzw. ‚binnenländisch‘ im Gegensatz zu ‚maritim‘ bedeutet. Nun ergeben sich hier zwei Interpretationsmöglichkeiten: Einerseits das binnenländische Meer, im Gegensatz zu einem „außerländischen Meer“, einem außerhalb der Landmasse liegendem Meer; andererseits das Meer in der Mitte des (Fest-)Landes bzw. der Erde. Beide Deutungen führen uns zur ersten, für die westliche Kultur relevanten Raumkonzeption des Mediterraneums, und zwar dem Weltbild der griechischen Polis.

Zunächst bestimmen wir, welches außerhalb der Landmassen liegende Meer hier gemeint ist. Eine Erklärung hierfür finden wir im 18. Gesang der Illias. Nach dem Tod des Patroklos und dem darauffolgenden Beschluss Achills, Hektor zu töten, bittet er seine Mutter Thetis, neue Waffen von Hephaistos zu beschaffen. Dieser beginnt unverzüglich ein neues Schild herzustellen, das wie folgt beschrieben wird:

„Erst nun formt' er den Schild, den ungeheuren und starken,
Ganz ausschmückend mit Kunst. Ihn umzog er mit schimmerndem Rande,
Dreifach und blank, und fügte das silberne schöne Gehenk an.
Aus fünf Schichten gedrängt war der Schild selbst; oben darauf nun
Bildet' er mancherlei Kunst mit erfindungsreichem Verstande.
Drauf nun schuf er die Erd', und das wogende Meer, und den Himmel,
Auch den vollen Mond, und die rastlos laufende Sonne; […]“
(Hom. Il. 18, 478–484)

Einige Verse weiter heißt es:

„Auch die Gewalt des Stromes Okeanos bildet' er ringsum
Strömend am äußersten Rand des schönvollendeten Schildes.“
(Ebd. 607–608)

Diese Passage, lässt sich einerseits als Ekphrase, eine bildhafte Beschreibung eines Gegenstandes lesen (vgl. Abb. 1), andererseits fungiert es als Analogie für den gesamten Kosmos bzw. „zeigt […] im Kleinen, was die Welt […] im Großen ist.“ (Schadewaldt 1938: S. 368) Schon in den ersten Worten umspannt die Beschreibung die ganze bekannte Welt: Erde, Himmel und Meer. Betrachten wir die Karte des vorsokratischen Gelehrten und ersten historisch fassbaren griechischen Kartographen Anaximander aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., wird klar, dass diese Darstellung durchaus wörtlich zu verstehen ist, denn die bewohnte Welt, beziehungsweise die Oikumene, ähnelte in der Vorstellung der Griechen einer kugelförmigen Insel (vgl. Abb. 2). Diese wurde, wie Homer erklärt, von einem riesigen Wasserstrom, dem Oceanos, umflossen. In der Mitte der Erdscheibe hingegen befand sich, nomen est omen: das Mittelmeer.

Abbildung 1: Der Schild des Achills (moderne Nachbildung)
Abbildung 2: Die Weltkarte des Anaximander

Nun haben wir die etymologische Herkunft des Begriffes und die diesem zugrundeliegende Weltvorstellung nachvollzogen, doch welche Rolle spielte dieses Gewässer für die Griechen und wo verorteten sie sich in dieser Welt? Einem Mythos zufolge entsandte Zeus zwei Adler, einem vom östlichen und einem vom westlichen Weltenrand, um den Mittelpunkt der Erde zu bestimmen. Die beiden Adler trafen sich in Delphi, wo bis heute der Omphalos-Stein wortwörtlich den Nabel der Welt markiert (Roscher 1974: S. 54–55).

Die Tatsache, dass der Mittelpunkt der Welt nicht nur im griechischen Kulturraum, sondern bei einem der wichtigsten Heiligtümer der Hellenen, nämlich dem Tempel des Apollon, lag, gibt Aufschluss über die räumliche Ordnung der Ökumene. Um die Schildanalogie weiterzuverwenden, erkennt man hier deutlich eine Unterscheidung zwischen dem Zentrum, dargestellt durch den Mittelpunkt des Schilds, und der Peripherie, die schließlich mit dem Rand des Schilds, dem Okeanosstrom, endet. Diese Unterscheidung war für die Griechen essenziell, ja bedeutungs- und identitätsstiftend. Je weiter man sich vom Zentrum wegbewegte, desto unzivilisierter und barbarischer wurde die Umgebung. An den Rändern der Welt lebten die Hundsköpfigen, Zyklopen, Mundlosen und andere Wundervölker, dort nahm das Fremde und Unsittliche die Überhand.

Auch die zentrale Lage des Mittelmeers verweist auf die enorme Bedeutung dieses Gewässers für die griechische Hochkultur. Es war für sie keine Grenze, sondern im Gegenteil, ein grenzenloser Raum mit potenziell unendlicher Mobilität. Für die griechischen Stadtstaaten, die häufig in kargen und gebirgigen Orten lagen, war der Seeweg die sicherste und effizienteste Route. Dies führte nicht nur zu extensivem Seehandel, sowohl unter den Stadtstaaten als auch mit den Persern und den Phöniziern, sondern auch zur griechischen Kolonialisierung des Mittelmeerraums. Die im ständigen Austausch stehenden Stadtstaaten der griechischen Halbinsel vereinten ihre Kräfte im attischen Seebund, was schließlich den Nährboden für die Entstehung der Demokratie legte.

Die Hypermobilität, die das Mittelmeer bot, besaß jedoch durchaus Nachteile. So erscheint es zunächst widersprüchlich, dass der Raum, in dem ein friedlicher, kooperativer Stadtstaatenbund, samt Mitspracherecht der Bürger entstand, gleichzeitig ein Ort der exzessiven Gewalt und militärischer Machtkämpfe sein kann. Es ist jedoch nicht wunderlich, wenn man bedenkt, dass die Anfänge der europäischen Literatur in der Beschreibung einer militärischen Auseinandersetzung liegen, genauer in der bereits erwähnten Ilias. Historisch gesehen war das Mediterraneum schon immer ein Ort des Konfliktes. Selbst zu Anfangszeiten der Demokratie fand sich der attische Seebund in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Perserreich sowie später mit dem Peloponnesischem Seebund. Vielleicht sind genau dieses Konfliktpotenzial und der damit verbundene Wunsch, Einheit und Klarheit zu schaffen, zusammen mit intensivem Handel und Kulturaustausch die treibenden Faktoren für die Entstehung der Demokratie gewesen.

Nun haben wir die historischen und kulturellen Hintergründe der Denktradition des „Entgrenzten Mittelmeers“ nachvollzogen. Natürlich lassen sich auch andere Beispiele anführen, die griechische Kultur dient uns hier emblematisch als Beispiel einer kulturellen Imagination, die die Grenzenlosigkeit des Mittelmeers betonte. Dieses Gedankengut wurde schließlich an ein Volk weitergegeben, dass ebenso wie die Griechen und Phönizier von der Hypermobilität des Mittelmeers profitierte, nämlich die Etrusker und schließlich die Römer. Das Römische Reich ist gewissermaßen eine Weiterführung und Perfektionierung des mediterranen Potenzials. Zu seiner größten Ausbreitung lag das Mittelmeer hier wortwörtlich in der Mitte des Reiches weshalb es auch mare nostrum genannt wurde. Seine wirtschaftliche Macht hatte das Römische Reich zum großen Teil dem mediterranen Handel und der mediterranen Mobilität zu verdanken. Einen besonderen Stellenwert im römischen Reich hatte die Provinz Aegyptus, nicht zuletzt wegen der hohen Fruchtbarkeit der Erde. Gleichzeitig ermöglichte der Zugang zum Roten Meer eine direkte Verbindung zum Gewürzhandel, der hauptsächlich am Indischen Ozean stattfand (vgl. McLaughlin 2014: S. 1–22). Im Westen erschlossen die römischen Expansionsbestrebungen, vor allem in Gallien, zusätzlich weite Teile Europas und veränderten ein weiteres Mal das Verständnis der Ökumene.

Der Bruch mit dieser Raumkonzeption und somit die Entstehung des neuen Paradigmas lässt sich an der Epochengrenze zwischen Antike und Mittelalter verorten. Betrachten wir eine Karte des spanischen Gelehrten Isidor von Sevilla, so erkennen wir deutliche Brüche und Veränderungen aber auch einige Gemeinsamkeiten mit älteren geographischen Konzepten (vgl. Abb. 3). So wird das Motiv der Radkarte, sprich der runden Darstellung der Erdscheibe, wie sie bei Anaximander zu finden ist, übernommen, diese stellt hier jedoch die obere Hälfte bzw. Hemisphäre des Erdballs dar. Der deutlichste Unterschied ist in der Darstellung des Mittelmeers zu sehen: War in griechischer und römischer Vorstellung das Mediterraneum noch ein zentraler Teil der Identität und bindender Raum für griechische Stadtstaaten und römische Provinzen, ist das Mittelmeer hier als klare Grenze zwischen Europa, Asien und Afrika erkennbar. Sie fungiert hier unter dem Namen mare magnum als Trennlinie zwischen Europa und Afrika. Die Grenze zwischen Afrika und Asien bildete dem isidorischen Verständnis nach der Nil, die zwischen Europa und Asien der Tanais, der heute unter dem Namen Don bekannt ist. Wegen ihrer charakteristischen Form werden diese Karten häufig TO-Karten genannt: das ‚T‘ repräsentiert hierbei die drei Kontinentalgrenzen und das ‚O‘ die runde Form der Karte.

Abbildung 3: Radkarte aus Isidor von Sevillas Etymologiae, Erstdruck Günther Zainer, 1472

Suchen wir nach dem Mittelpunkt dieser Erdscheibe, entdecken wir eine weitere grundlegende Veränderung: Dieser ist nicht mehr im zentralmediterranen Raum zu finden, sondern im Osten, genauer in Jerusalem. Die Christianisierung war nämlich ein treibender Faktor dieser neuen Raumvorstellung, wie man an den Beschriftungen „Sem“, „Jafet“ und „Cham“ sehen kann. Diese gehen auf die alttestamentliche Völkertafel zurück, einer Zusammenstellung der Nachkommen Noahs. Im 9. Kapitel des ersten Buches Mose heißt es: „Die Söhne Noahs, die aus dem Kasten (damit ist die Arche gemeint) gingen, sind diese: Sem, Ham und Japheth. Ham aber ist der Vater Kanaans. Das sind die drei Söhne Noahs, von denen ist alles Land besetzt.“ (1. Mose 3, 18) Die drei Söhne Noahs verbreiteten sich auf die drei Erdteile und wurden zu den Stammvätern der dortigen Völker. Dieses Kartenmotiv, samt Einteilung der Welt in drei Teile, prägte die europäische Kartographie und das Selbstbild der Europäer bis in die Neuzeit. Die 1495, fast 1000 Jahre nach Isidor herausgegebene Schendelsche Weltchronik übernimmt genau diese Einteilung, wie wir an den drei Söhnen Noahs an den Rändern der Karte sehen. Der Einfluss dieses Weltkonzeption geht noch weiter: Das Motiv der OT-Karte ist auch auf dem Reichsapfel der römisch-deutschen Kaiser zu finden. Dort symbolisierte es den Universalherrschaftsanspruch sowie die übernationale Reichsidee der christlichen Herrscher.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde dieses Weltbild in Europa immer weiter verfestigt. Zu nennen wäre einerseits der Aufstieg und die Expansion des Islams, welche eine Trennung zwischen christlichem Abendland und islamischem Morgenland bewirkte. Auch das Fränkische Reich und die Krönung Karls des Großen zum römischen Kaiser zementierten das Bild eines unter dem Christentum vereinten Europas. Die isidorische Wende kennzeichnet den Beginn einer Um- und Neuordnung der Welt nach christlicher Vorstellung. Gleichzeitig tritt das Mittelmeer zugunsten des Festlandes immer weiter in den Hintergrund und wird zur Projektionsfläche für hegemoniale Ansprüche (vgl. Braudel 1998: S. 386–388). Je fester und greifbarer das Konzept Europas wurde, desto weniger Raum blieb für das Mittelmeer und die zwei anderen Erdteile. In der Neuzeit schließlich, verdrängte Europa das Mittelmeer als Zentrum der Welt, wie man an den im 16. Jhd. populären Kartenmotiv der Europa regina erkennen kann (vgl. Abb. 4). Hier wird Europa als junge Frau dargestellt, mit dem Kopf auf der iberischen Halbinsel, dem Oberkörper repräsentiert durch Frankreich und den beiden Armen in Italien und in Skandinavien. Das Mittelmeer sowie Asien und Afrika spielen hier nur noch eine marginale Rolle.

Abbildung 4: Europa regina in Sebastian Münsters Cosmographia, 1570

Der Paradigmenwechsel bedeutete aber keinesfalls, dass das Wissen um die Mobilität und Transferleistung des Mittelmeers in Vergessenheit geriet, im Gegenteil sogar. Besonders der wirtschaftliche Aspekt gewann in den folgenden Jahrhunderten immer mehr an Bedeutung. Diese „Mediterranisierung der Welt“ ging Hand in Hand mit der europäischen Expansion. Schrittweise dehnte sich der intensive mediterrane Handel auf andere Teile Europas und schließlich der ganzen Welt aus. Die Niederlande beispielsweise etablierten sich zunächst als Bindeglied zwischen dem hanseatischen Bund und den Handelsrepubliken des Mittelmeers, was sich als höhst profitabel herausstellte. Mit dem Fall Konstantinopels, der den Zugang zur Seidenstraße und zum Gewürzhandel stark einschränkte, wanden sich die maritimen Mächte gen Westen, was schließlich zur Entdeckung der Neuen Welt und in Konsequenz auch zur Etablierung des atlantischen Dreieckshandels führte. Das Mittelmeer kann also als Geburtsort des internationalen Systems gesehen werden, samt freiem Welthandel und Völkerrecht (vgl. Leggewie 2012: S. 4). Das Konzept des modernen Staats entwickelte sich durch die am Mittelmeer beginnende und auf den Weltmeeren vollzogene Globalisierung sowie den Kolonialismus. Neuzeitliche Urbanisierungsmuster lassen sich auf die stark urban geprägten mediterranen Küstenstädte zurückführen (vgl. ebd. S. 6).

Nun haben wir die beiden in Opposition stehenden Denktraditionen umrissen: auf der einen Seite steht das Antike Weltbild des Mittelmeers als „Meer in der Mitte“ auf der andern die mittelalterliche Deutung als „Zwischenmeer“. Es ist jedoch wichtig an dieser Stelle klarzustellen, dass keine dieser Auffassungen je überall und von allen anerkannt war, da wir hier hauptsächlich von europäischen Denktraditionen sprechen. Dies sind lediglich die beiden äußersten Pole einer Skala, und historisch oszillierten die Konzeptionen zwischen ihnen.

Eine besonders absurde Vorstellung des Mittelmeers liegt dem Projekt Atlantropa zugrunde. Als geistiger Vater dieses Megaprojekts gilt der Architekt und Kulturphilosoph Herman Sörgel. Sein 1928 konzipierter Plan sah vor, an spezifischen Orten, z.B. der Straße von Gibraltar, riesige Staudämme zu errichten, die ultimativ das Mittelmeer teilweise trockenlegen sollten (Sörgel 1929: S. 8). Das so gewonnene Land sollte als Siedlungsraum für die Europäer dienen und Arbeitsplätze für diese schaffen, die Staudämme würden die neuen Siedlungen mit Strom versorgen. Nicht zuletzt war dies auch ein Versuch, nach den katastrophalen Auswirkungen des I. Weltkriegs, weitere kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden und die europäischen Kräfte in einem Großprojekt zu vereinen (vgl. dazu: Sörgel 1932). Dieses Vorhaben war aus vielen Gründen nicht tragbar. Durch die plattentektonischen Bewegungen am Mittelmeer konnte die Stabilität der Staudämme nicht garantiert werden, ein Bruch oder ein Tsunami hätten verheerende Auswirkungen für die dort lebenden Menschen. Zusätzlich wäre der Lebensraum von tausenden Lebewesen vernichtet worden, ganz zu schweigen von den Klimafolgen, die das Verdampfen einer solchen Menge Wasser mit sich ziehen würde. Auch wäre der Salzgehalt des neugewonnenen Landes so enorm, dass er praktisch nicht für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden könnte.

Wir müssen schlussendlich feststellen, dass dieser „flüssige Kontinent“ schlicht und ergreifend nicht eingrenzbar ist: weder ethnologisch, national oder historisch. Das ambige Wechselverhältnis des Meeres als scheinbar klar abgrenzbares Gebiet und gleichzeitig Ort der höchsten Mobilität, erschwert diese Aufgabe zusätzlich. Doch selbst diese Unbestimmtheit und Unbegrenztheit hat den Menschen nicht davon abgehalten, konzeptuelle Grenzziehungen vorzunehmen, ja vielleicht hat sie es sogar begünstigt. Dem Mittelmeer haften Assoziationen mit der Ökumene, Weltmacht, Globalisierung und schließlich der europäischen Dominanz an. Natürlich darf auch die Rolle der dortigen Bevölkerung nicht außer Acht gelassen werden. Die schweizerisch-slowenische Historikerin Desanka Schwara bezeichnet das Mittelmeer als „Verschachtelung von Diasporagemeinschaften“, die eher religiösen und großfamiliären Bindungen folgten, als nationalen Loyalitäten. Die Vielzahl an kulturellen, wirtschaftlichen, nationalen, kontinentalen und imperialen Grenzziehungen, die sich bedingen, aufeinander aufbauen oder in Opposition zueinander stehen, wird in einem Raum vereint, was diesen wiederum zu einem sehr hohen Grad semantisiert. Um die Worte des kroatischen Literaturwissenschaftlers Predrag Matvejević zu benutzen: „Weder in Raum noch in Zeit sind seine Grenzen verzeichnet. Wir wissen nicht, wie und auf welcher Grundlage wir sie bestimmen sollten: Sie sind nicht ethnisch und nicht historisch, nicht staatlich und auch nicht national. Der ‚mediterrane Kreidekreis‘ wird unablässig gezeichnet und wieder gelöscht, Wind und Wellen, Abenteuer und Inspiration erweitern oder verengen ihn nach ihrem Maß.“ (Matvejević 1993: S. 17)


Quellen
Braudel, Fernand (1990): Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. Frankfurt a. M.
Homer: Ilias, Odyssee. In der Übertragung von Johann Heinrich Voß. 22. Auflage 2004. München.
Leggewie, Claus (2012): Hafenstädte am Mittelmeer: Zwischen Dekadenz, Nostalgie und Erneuerung. Online abrufbar unter: https://www.eurozine.com/hafenstadte-am-mittelmeer/
Matvejević, Predrag (1993): Der Mediterran. Raum und Zeit. Zürich.
McLaughlin, Raoul (2014): The Roman Empire and the Indian Ocean. The Ancient World Economy and the Kingdoms of Africa, Arabia and India. Barnsley.
Roscher, Wilhelm Heinrich (1974): Omphalos. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1913–1918. Hildesheim [u.a.].
Schadewaldt, Wolfgang (1959): Von Homers Welt und Werk: Aufsätze und Auslegungen zur homerischen Frage. Stuttgart.
Sörgel, Hermann (1929): Mittelmeer-Senkung. Sahara-Bewässerung (Panropa-Projekt). Leipzig.
Sörgel, Hermann (1932): Atlantropa. Zürich/München.

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: The shield of Achilles according to the description of Homer – a hand-colored etching by Quatremere de Quincy, (Antoine-Chrysostome 1755-1849) ca. 1814 Published in The Jupiter Olympian, Paris, Didot; gemeinfrei, entnommen https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_shield_of_Achilles_according_to_the_description_of_Homere_by_Quatremere_de_Quincy.jpg.
Abbildung 2: Die Weltkarte des Anaximander, entnommen http://www.myoldmaps.com/maps-from-antiquity-6200-bc/108-hecataeus/.
Abbildung 3: T and O style mappa mundi (map of the known world) from the first printed version of Isidorus‘ Etymologiae (Kraus 13). The book was written in 623 and first printed in 1472 at Augsburg by one Günther Zainer (Guntherus Ziner), Isidor’s sketch thus becoming the oldest printed map of the occident; gemeinfrei, entnommen https://commons.wikimedia.org/wiki/File:T_and_O_map_Guntherus_Ziner_1472.jpg.
Abbildung 4: Map of Europe as a queen, printed by Sebastian Munster in Basel in 1570; gemeinfrei, entnommen https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Europe_As_A_Queen_Sebastian_Munster_1570.jpg.

Perspektiven. Zur Realität und Imagination von Grenzen

von Lea Kubisch (vorgetragen am 25.01.2020 als Teil des Workshops „Ein flüssiger Kontinent? Méditeranée zwischen Fiktion und Realität. Panel 2: Das Mediterraneum als Grenz- und Kulturraum“)

Grenzen gehören zur menschlichen Wirklichkeit. Ganz gleich, ob sie territorial-real existieren und mit Zäunen, Mauern und Stacheldraht verteidigt werden oder kulturell-imaginär sind und durch das Denken und Handeln der Menschen bestehen. Aber warum sind Grenzen in unserem Alltag jederzeit so präsent? Die menschliche Fixierung auf Grenzen an sich lässt sich mit der grundlegenden Art unseres Seins bzw. Bewusstseins erklären. Wir definieren uns, indem wir uns von anderen abgrenzen. Anton Pelinka – ein österreichischer Politikwissenschaftler, der sich viel mit der Grenzthematik beschäftigt hat – bringt das ganz gut auf den Punkt. Er schreibt: „Um zu wissen, wer wir sind, müssen wir wissen, wer wir nicht sind.“ [1] Grenzen sind für uns Menschen also in erster Linie notwendig, um uns selbst als Individuen zu begreifen und von „den Anderen“ abzugrenzen. Gleichzeitig existieren sowohl simplere, als auch wesentlich komplexere Arten und Vorstellungen von Grenzen.

Unter dem Titel Perspektiven – Zur Realität und Imagination von Grenzen möchte ich nun über verschiedene Arten und Formen von Grenzen, die Abgrenzungsmechanismen zwischen Personengruppen sowie über die damit verknüpfte Funktionalisierung von Feindbildern sprechen. Besonders im Mittelmeerraum, der das thematische Grundgerüst der Mittelmeer-Filmtage bildet, sind Grenzen ein zentrales und aktuelles Thema. Hier sind vor allem die Flüchtlingsthematik, kulturelle Differenzen oder Umweltfragen zu bedenken. Im Mittelmeergebiet sind auch Feindbilder keine Seltenheit – wie letztlich in der gesamten Welt. In der Verknüpfung des Mittelmeerraums mit Deutschland ist das Feindbild des Flüchtlings momentan äußerst aktuell. In der philosophisch-kulturellen Reflexion von Grenzen und der psychologisch-soziologischen Darlegung von Feindbildern soll deshalb die politisch-mediale Instrumentalisierung des Flüchtlingsfeindbildes herangezogen werden. Die verschiedenen Zugänge, von Philosophie über Psychologie, Soziologie und Politik, hin zum Medialen, sind notwendig, um die vorgestellte Thematik umfassend beleuchten zu können.

Um Fremdheit verstehen zu können, muss erst einmal das Konzept der Grenze näher betrachtet werden. Wie ich zu Beginn bereits feststellte, existieren unterschiedliche Arten von Grenzen: Klassische Grenzvorstellungen unterscheiden zumeist zwischen territorialen und nicht-territorialen Grenzen. Wir alle kennen Grenzen v.a. in physischer Form, als Grenzzaun, Mauer oder Ländergrenze. Also als Linie oder Gebiet, das von anderen definiert und verteidigt wird. Eine territoriale Grenze. Bedenkt man aber andere Arten von Grenzen – wie zum Beispiel Abgrenzung durch Religion, Sprache, Kultur oder Klassenzugehörigkeit – fällt das Übermaß an nicht-territorialen Grenzen erst ins Auge. Die Differenz zwischen territorialen und nicht-territorialen Grenzen ist also vielleicht schon einen Schritt zu weit gedacht. Denn die wichtigste Unterscheidung ist meiner Meinung nach zwischen natürlichen und künstlichen Grenzen zu treffen. Natürliche Grenzen beziehen sich z.B. auf geographische oder physikalische Gegebenheiten. Ich möchte mich im Folgenden aber besonders mit den künstlichen Grenzen beschäftigen. Der Begriff der Künstlichkeit wird von Michael Hardt kritisiert, erinnert er ihn doch zu sehr an Kunst. Hardt ist Professor für Visuelle Kommunikation und beschäftigt sich auf gesellschaftlicher und ästhetischer Ebene viel mit Grenzen und Grenzüberschreitungen. Statt „künstlich“ schlägt er die Bezeichnung „vom Menschen erdachte Grenzen“ oder auch imaginäre Grenzen vor. [2] Darunter fallen ideologische, politische, sprachliche, persönliche Grenzen, usw. Also die Art von Grenzen, die durch das Denken und Handeln der Menschen bestehen.

Einige werden jetzt denken: „Es gibt also einerseits reale und andererseits phantasierte Grenzen…“ Doch so simpel ist es eben nicht. Denn imaginäre Grenzen können – trotz ihrer physischen Absenz – durchaus real sein, je nachdem, ob sie endogen oder exogen sind. Also aus dem Inneren eines Menschen kommen oder von außen, von anderen Individuen, auferlegt werden. Finden Begrenzungen nur im Geist eines Menschen statt, so können sie wirklich als imaginär und eben nicht real bezeichnet werden. Von außen vorgegebene Grenzen sind dagegen durchaus real. Versuchen Sie nur einmal, nackt durch die Fußgängerzone zu gehen und sie werden sehr schnell die realen Grenzen der Schicklichkeit erfahren. Oder bunt gekleidet und singend eine Beerdigung zu besuchen. In Sekundenschnelle wird Ihnen dann die Grenze der Pietät bewusst gemacht.

Grenzen existieren in allen Bereichen und Größenordnungen. Sie manifestieren sich zwischen Kulturen, zwischen Personengruppen oder auch zwischen Einzelpersonen. Eine zentrale Unterscheidung könnte hier zwischen außerkulturellen und innerkulturellen Grenzen getroffen werden. Außerkulturelle Grenzen beziehen sich auf alle Dinge, mit denen sich Kulturkreise voneinander unterscheiden und bewusst abgrenzen. Dabei handelt es sich um Dinge wie Traditionen, Religion, Sprache und auch Aussehen. Außerkulturelle Grenzen werden oft betont, um das Gegenüber in die Fremdheit zu drängen und zu einer positiven Selbstdarstellung zu gelangen. Aber auch innerhalb einer Kultur existieren mannigfaltige Grenzen, wie etwa Klassenzugehörigkeit, Bildungsgrad, Geschlecht, politische oder sexuelle Orientierung. Die aufgeführten Dinge sind in erster Linie nur Unterschiede. Zu Grenzen werden sie erst durch die Handlungen der Menschen, die Unterschiede zur bewussten Abgrenzung nutzen. Diese Handlung ist uns zumeist gar nicht mehr bewusst. Hardt schreibt: „Wir sind in unserer Gesellschaft so konditioniert, dass wir Grenzen als gegeben akzeptieren. Neue Grenzen akzeptieren wir meist widerspruchslos. Bestehende Grenzen dagegen abzuschaffen ist meist ein kompliziertes Unterfangen.“ [3] Natürlich gibt es unterschiedliche Arten von Menschen, die Grenzen jeweils anders wahrnehmen und akzeptieren, worauf auch Hardt hinweist [4] : Eher konservative Menschen akzeptieren und brauchen Grenzen, um ihren Alltag zu strukturieren. Progressive Persönlichkeiten werden durch Grenzen eher beschränkt und leben stets in der Nähe der Grenzüberschreitung. Außerhalb dieser Persönlichkeitsausrichtung existieren auch noch die Machthaber, die für sich selbst Grenzen nur schwerlich oder nicht akzeptieren, sie für andere aber setzen. Politiker können beispielsweise solche Machthaber sein.

Wir werden jedoch nicht nur inner- und außerkulturell durch Grenzen bestimmt, sondern auch imaginär. Im Hinblick auf die gedanklichen Grenzen in jedem Menschen möchte ich besonders auf die menschliche Grenze der Wahrnehmung und davon abhängig der Empathie hinweisen. Manche Menschen sind sehr empathisch, manche sind es eher weniger. Was uns alle verbindet, ist die Fähigkeit zur psychologischen Abschottung. Aus welchem Grund auch immer – hin und wieder fehlen uns bewusst oder unbewusst Verständnis und Empathie für das Gegenüber. Und diese psychologische Abgrenzung führt dann zur Alteritätskonstruktion, also zur Bildung von Fremdheit im Anderen. Wir sehen: unsere gesamte Lebenswelt besteht aus Grenzen. Manche sind uns stets bewusst, wie Zäune oder Verbotsschilder. Andere sind weniger auffällig, wie die gedankliche Abgrenzung von „Anderen“. Und mit dieser Abgrenzung befinden wir uns auch immer in gefährlicher Nähe zu Fremdenhass und Feindbildern, wie dem Flüchtlingsfeindbild.

Identitätskonstruktionen sind, wie bereits festgestellt, notwendigerweise mit der Unterscheidung zwischen „ich“ und „die Anderen“ verknüpft. Feindbilder basieren nun auf genau diesen Strukturen und verwandeln „die Anderen“ in Feinde, von denen es sich abzugrenzen und zu schützen gilt.

Dieses Werbeplakat ist ein klassisches Beispiel für das Schüren von Fremdenhass und die Ablehnung der „Anderen“. Der Verein für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit nutzt das Feindbild des gewalttätigen Flüchtlings als Abschreckung und Werbung für die Politik der AfD. Das „ich“ der Identitätsschaffung wird hier zu einem „wir“ und setzt dem Fremden so eine homogene Gemeinschaft gegenüber, mit der man sich identifizieren kann und soll. [5] In diesem Fall wird das „wir“ mit „unsere Frauen und Töchter“ ausgespielt. Der Historiker und Vertreter der Vorurteilsforschung Wolfgang Benz betont:

„Im gesellschaftlichen Alltag vollziehen sich Wahrnehmung und Verhalten zwischen einzelnen Gruppen, also auch Mehrheiten und Minderheiten, über Freund- und Feindbilder, die sich durch Informationen konstituieren. Ein beträchtlicher Teil der Information besteht aus Ressentiments, die sich aus Stereotypen und Klischees speisen.“ [6]

Er wirft in diesem Zitat mit einigen Begriffen um sich, die alle mit der Feindbildthematik zusammenhängen und die deshalb einer kurzen Klärung bedürfen. Es handelt sich um Stereotyp (oder auch Klischee), Vorurteil und Ressentiment. Sie alle dienen, aufeinander aufbauend, der Konstruktion eines Feindbildes. Ein Stereotyp ist ein vereinfachendes, verallgemeinerndes Urteil, bzw. ein festes, klischeehaftes Bild eines Menschen. Als Zuschreibungen sorgen Stereotype dafür, dass Menschen rasch und ohne viel zu reflektieren eingeordnet werden können. Das typische „Schubladendenken“ des Menschen kann nur durch Stereotype funktionieren. Ein Vorurteil geht ein wenig weiter. Hierbei handelt es sich um eine vorschnell gefasste oder von jemand anderem übernommene Meinung – meist negativer Natur – gegenüber etwas oder jemandem. Objektive Betrachtungen werden durch Vorurteile verhindert, bzw. von diesen ausgeschlossen. Das Ressentiment baut auf diesem verzerrten Blick des Vorurteils auf. Aus dem Französischen entlehnt, kann es mit „Groll“ übersetzt werden. Der Duden definiert das Ressentiment als „auf Vorurteilen, einem Gefühl der Unterlegenheit, Neid o. Ä. beruhende gefühlsmäßige, oft unbewusste Abneigung“ [7]. Das Ressentiment beinhaltet dementsprechend ein sehr negatives Bild des Gegenübers. Wichtig zu wissen ist, dass „Ressentiments und Vorurteile austauschbar sind und immer wieder einer anderen Volksgruppe zugeschrieben werden.“ [8] Die tatsächlichen Eigenschaften und Charakteristika eines Menschen oder einer Gruppe werden durch ihnen zugeschriebene Eigenschaften überlagert. Und auf genau diesen zugeschriebenen Eigenschaften basieren Fremdenhass und Feindbilder.

Was also ist ein Feindbild? Der Duden sagt eine „Vorstellung von einer Person oder Sache als von einem Feind, Gegner, als von etwas Feindlichem, Bedrohlichem“ [9]. Feindbilder existieren allerdings nicht im luftleeren Raum. Sie werden bewusst aufgebaut, geschürt und instrumentalisiert. Dabei werden verschiedene Ziele verfolgt. Zum einen fungieren ausgegrenzte Gruppen stets als Sündenbock in Verbindung mit der Zuschreibung negativer Eigenschaften. [10] Das geschah schon bei den Hexen im Mittelalter und geschieht auch heute, wenn die Schuld bei Flüchtlingen oder auch simpel „Ausländern“ gesucht wird. Der negativen Fremddarstellung wird dabei stets eine positive Selbstdarstellung entgegengesetzt. [11] Die wichtigste Funktion eines Feindbildes ist aber wohl der Aufbau einer kollektiven Identität. Indem ein abgegrenztes Außen geschaffen wird, können unterschiedlichste Menschen vereint werden zu einer homogenen Gruppe. Diktatoren wie Adolf Hitler haben das sogar ausformuliert, wobei ich diese Worte heute nicht mehr wiederholen möchte. Sprache und andere Systeme der menschlichen Kommunikation werden im Hinblick auf Feindbilder stets dafür verwendet, die Unterschiede zu betonen und dadurch die imaginäre Grenze zwischen „uns“ und „den Anderen“ zu stärken.

Die Funktionalisierung von Feindbildern kann, wie bereits angesprochen, auch heute in Bezug auf Flüchtlinge beobachtet werden. Der deutsche Psychologe und Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer schreibt: „Die ungebremste Demagogie auf der Ebene der Politik und der Medien ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Fremdenfeindlichkeit und Hass auf Flüchtlinge.“ [12] Dies kann allerdings nur funktionieren, wenn es in der Bevölkerung auch eine Bereitschaft gibt, dem zu folgen. Dementsprechend destilliert er drei Faktoren für die Durchsetzung für Fremdenhass: Demagogie, Persönlichkeit (also die psychische Disposition) und soziale Situation. Ottomeyers These, der ich grundlegend zustimmen würde, ist, dass Fremdenfeindlichkeit als Ausdruck psychischer Spannungen im Individuum entsteht und von Demagogen angefacht wird. [13] Wie diese psychischen Vorgänge funktionieren und das medial ausgenutzt wird, möchte ich im Folgenden noch ein wenig näher beleuchten.

Ottomeyer geht von der Aussage Sigmund Freuds aus, dass das Ich sich konstant mit drei Elementen der Wirklichkeit auseinandersetzen muss: Mit der Bewältigung der Realität, mit seinen eigenen Es-Impulsen bzw. asozialen Regungen und schließlich mit dem eigenen Gewissen oder Über-Ich. [14] Daraus ergeben sich dann drei große Ängste für den Menschen. Die Realangst, also die Furcht vor grundlegenden Problematiken des menschlichen Lebens wie Verletzung, Krankheit, Geld, Wohnsituation und Tod. [15] Die neurotische Angst, in Bezug auf das eigene Es, also die grundlegenden Triebe im Menschen, die außer Kontrolle geraten könnten. [16] Und die Gewissensangst, die sich auf die strenge des Über-Ichs in seiner Gewissensfunktion bezieht und die Laune und Lebensfreude verringern kann. [17] Diese drei Ebenen der Angst greifen bei Feindbildkonstruktionen und spezifisch der Diskussion über Flüchtlinge ineinander. Ein ungefestigtes „Ich“ sieht in einem Feindbild die Möglichkeit, sich über jemanden zu erheben. Diese Erhebung kann so weit führen, dass das Gegenüber nicht mehr als menschliches Wesen wahrgenommen wird. Was das für Folgen haben kann, hat uns der Nationalsozialismus gelehrt. Der Unterdrücker entwickelt die Kunst der Verdrängung sowie mannigfaltige Bewältigungsstrategien, um mit der eigenen Unmenschlichkeit klarzukommen. Das sieht man in unterschiedlichen Formen auch in der Flüchtlingsdebatte.

Flüchtlinge sind Menschen. Menschen, die fast ausschließlich vor Krieg, Unterdrückung, Armut oder anderen lebensunwürdigen Situationen fliehen. Wie kann es passieren, dass Hilfsbedürftige auch eine starke Ablehnung, ja Verachtung erfahren? Jeder Mensch setzt Grenzen. Das haben wir bereits verinnerlicht. Für uns in der westlichen Welt sind oft die Grenzen des Alltags, der „heilen Welt“ und der Annehmlichkeit zentral. Diese Grenzen werden durch Flüchtlinge überschritten und dadurch sichtbar gemacht. Sie bringen die von uns oftmals verdrängten, angsterregenden Dinge – wie eben Krieg, Unterdrückung oder Armut – zurück in unser Gedächtnis. Und an genau diesem Punkt greifen die Abwehr- und Bewältigungsmechanismen des Menschen, die sich eine „Normalisierung“ [18], wie es Klaus Ottomeyer formuliert, wünschen. Die Folgen dieser Verdrängung beschreibt wiederum Wolfgang Benz: „Existenzielle Probleme von Minderheiten, die deren Angehörige zur Flucht veranlassen, werden in aller Regel von den Offiziellen der Mehrheit marginalisiert oder geleugnet.“ [19] Politisch werden solche Aussagen eingesetzt, um die Massen zu polen.

Im Einzelnen greifen realitätsbezogene Strategien der Bewältigung, ein sogenanntes „Coping“ und andere Abwehrmechanismen des Ichs. [20] Auch hier finden wiederum Spaltungen in Gute und Böse statt, sowie Dehumanisierung oder Identifizierung mit dem Angreifer, um sich selbst zu erhöhen. [21] Die moralische Hilfsverpflichtung – ausgelöst vom Über-Ich – mündet in ein schlechtes Gewissen, das so verdrängt werden kann. Das passiert auch durch eine Pauschalisierung, in der alle Flüchtlinge zu Simulanten bzw. „Wirtschaftsflüchtlingen“ erklärt werden, wobei einzelne oder erfundene Geschichten zur allgemeinen Wahrheit aufgebauscht werden. [22] Wahrheitsgetreue von verzerrten Mediendarstellungen zu unterscheiden ist nicht immer einfach.

Im Zuge dieser Gewissensangst wird auch versucht, Helfer moralisch abzuwerten. Oft ist die Seenotrettung ein Ziel der Angriffe. Kapitäne, wie Carola Rackete und ganze Besatzungen müssen sich oft den Vorwurf einer Schlepper- oder Schleusertätigkeit anhören. Klaus Ottomeyer schreibt zu diesem Thema:

„Die Ablehnung des Gewissens kann zu einem Hass auf alle diejenigen werden, die an das Gewissen erinnern, also die Opfer selbst, aber auch diejenigen, die den Opfern offenkundig helfen und damit so etwas wie eine lebendige Anklage gegen den verbreiteten Egozentrismus in die Welt setzen.“ [23]

Neben den Gewissensängsten spielen Realängste – oft vermischt mit phantasierten Ängsten oder auch der Projektion auf Flüchtlinge – eine große Rolle im Feindbild. Das hier gezeigte Neonazi-Plakat bezieht sich auf die Angst, dass Flüchtlinge zu viel Geld erhalten, das lieber für die eigene Bevölkerung eingesetzt werden sollte.

Besonders im Hinblick auf die Soziale Grundsicherung in Deutschland (also Arbeitslosengeld, etc.) ist dieses Vorurteil tatsächlich häufig zu hören. Vergleicht man die gesetzlichen Regelsätze der Sozialen Grundsicherung mit denen des Asylbewerberleistungsgesetzes, kann dieses Vorurteil abgebaut werden. Einem alleinstehenden Asylbewerber werden insgesamt 344 € zur Verfügung gestellt. [24] Ein Alleinstehender, der die soziale Grundsicherung in Deutschland in Anspruch nimmt, bekommt hingegen 424 €. [25] Betrachtet man die Vorurteile und Ängste gegenüber Flüchtlingen, kann festgestellt werden, dass die Realitätsprüfung als wichtigste Aufgabe des Ichs im Hinblick auf Geldfragen und ähnliche Dinge oft versagt. [26] Gleiches gilt für die neurotischen Ängste des Menschen. Auch hier werden die eigenen Trieb-Ängste, so wie Gier, Aggression oder Lust oft auf Flüchtlinge projiziert. Besonders auffällig ist die Betonung der kriminellen Ebene.

Karten, wie diese sogenannte „Karte des Schreckens“ sind auf konservativen oder rechten Internetseiten immer wieder zu finden. Sie listen angeblich von Flüchtlingen begangene Verbrechen auf, um so die angeblich gestiegene Kriminalitätsrate zu untermauern und einen Schuldigen zu benennen. Genannt werden dabei allerdings kriminelle Einzelfälle, um die Vorurteile gegen alle Flüchtlinge zu schüren. Ähnlich differenziert wäre es zu behaupten, dass alle Deutschen kriminell sind, weil es einen Kriminellen deutscher Herkunft gibt. Einige Punkt auf diesen Karten sind auch lediglich Flüchtlingen zugeschrieben, andere entsprechen grundlegend nicht wahren Begebenheiten. Es ist klassisches Schubladendenken, das im Fall von Flucht und Migration zu Fremdenhass führt. Dabei zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik, dass wir 2018 die niedrigste Zahl verübter Straftaten seit 1992 hatten. [27] Es kommt auch immer wieder vor, dass Geschichten erfunden werden. [28] Dass diese geglaubt werden, liegt wohl daran, dass persönliche Geschichten oft überzeugender als Fakten sind, wie auch schon der politische Berater Frank Luntz in einem Memo bezüglich George W. Bushs Regierungsstrategie feststellte: „A compelling story, even if factually inaccurate, can be more emotionally compelling than a dry recitation of the truth…“ [29]

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Abwertung von Kindern eingehen. Diese ist psychologisch besonders schwierig, weil das Kindchen-Schema einen Beschützerinstinkt in uns weckt. Die meisten Kinderbilder werden – das muss ich leider eingestehen – auch eher instrumentalisiert um Mitleid zu erregen. Strategien der Abwertung von Kindern bringen diese in Verbindung mit Kriminalität oder arbeiten mit der Verdrehung von Tatsachen. [30]

Zu sehen war hier ein künstlerisches Denkmal für das im Meer ertrunkene Kind Alan Kurdi. Die ursprüngliche Fotografie ging vielfach durch die Presse, wobei von Hasschreibern oft der Vater als Sündenbock genutzt wurde, um die Schuld abzuwälzen. [31] Hier zu sehen ist nun, wie das Bild beschmiert wurde mit dem Hinweis „Grenzen retten Leben“, also der Forderung die Grenzen zu schließen, damit so etwas nicht noch einmal vorkommt.

„Grenzen retten Leben“… Nach allem was Sie gerade über die Imagination von Grenzen gehört haben, nach allem, was Sie selbst über Grenzen wissen…

Denken Sie, das stimmt?



Verweise
[1] Anton Pelinka: „Die Grenzen Europas“. In: B. Burtscher-Bechter [Hg.]:  Grenzen & Entgrenzungen. Historische & kulturwissenschaftliche Überlegungen am Beispiel des Mittelmeerraums. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006, S. 81.
[2] Vgl. Michael Hardt: „Grenzen sind imaginär“. Entn. michael-hardt. <www.michael-hardt.com/PDF/design-consultant/Grenzen_sind_imaginaer.pdf>, 2005,  S. 2.
[3] Hardt 2005, S. 3
[4] Hardt 2005, S. 3
[5] Vgl. Ruth Wodak: „Politik der Angst. Die diskursive Konstruktion von Fremdheit“. In: Wolfgang Benz [Hg.]: Vom Alltagskonflikt zur Massengewalt. Schwalbach: Wochenschau, 2017, S. 34.
[6] Wolfgang Benz: „Minderheiten als Katalysatoren der Identität der Mehrheit“. In: Wolfgang Benz [Hg.]: Vom Alltagskonflikt zur Massengewalt. Schwalbach: Wochenschau, 2017, S. 53.
[7] Bibliographisches Institut GmbH: „Ressentiment, das“. Entn. Duden. <https://www.duden.de/rechtschreibung/ Ressentiment>, 2019.
[8] Benz 2017a, S. 54.
[9] Bibliographisches Institut: „Feindbild, das”. Entn. Duden. <https://www.duden.de/rechtschreibung/Feindbild>, 2019.
[10] Vgl. Wodak 2017, S. 34.
[11] Vgl. Wodak 2017, S. 38.
[12] Klaus Ottomeyer: „An der Grenze. Unser Umgang mit den Flüchtlingen zwischen Mitgefühl und Abwehr“. In: Wolfgang Benz [Hg.]: Vom Alltagskonflikt zur Massengewalt. Schwalbach: Wochenschau, 2017, S. 184.
[13] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 184.
[14] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 184.
[15] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 184.
[16] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 185.
[17] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 185.
[18] Ottomeyer 2017, S. 180.
[19] Benz 2017, S. 59.
[20] Ottomeyer 2017, S. 185.
[21] Ottomeyer 2017, S. 185f.
[22] Ottomeyer 2017, S. 190.
[23] Ottomeyer 2017, S. 190.
[24] Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: „Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes“.Entn. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. <https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/reform-asylbewerberleistungsgesetz.html>.
[25] Vgl. Bundesregierung: „Regelsätze sind gestiegen“. Entn. Bundesregierung. <https://www.bundesregierung. de/breg-de/aktuelles/regelsaetze-sind-gestiegen-1522244>.
[26] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 188.
[27] Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: „Kriminalität in Deutschland“. Entn. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. <https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit /kriminalitaetsbekaempfung-und-gefahrenabwehr/daten-zu-kriminalitaet/daten-zu-kriminalitaet-node.html>.
[28] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 194/195.
[29] Frank Luntz. In: “Memo exposes Bush’s new strategy”, The Guardian. <https://www.theguardian.com/ environment/2003/mar/04/usnews.climatechange>, 2003.
[30] Vgl. Ottomeyer 2017, S. 191.
[31] Vgl. beispielsweise Michael Stürzenberger: „Vater des toten „Flüchtlings“-Kindes lebte in Türkei und wollte für neue Zähne nach Europa“. Entn. PI News. <http://www.pi-news.net/2015/09/vater-des-toten-fluechtlings-kindes-lebte-in-tuerkei-und-wollte-fuer-neue-zaehne-nach-europa/>, 2015.

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