Filmkritik: PAPICHA

von Natascha Herr

Papicha
Frankreich | Algerien | Belgien | Katar 2019 | Regie: Mounia Meddour | Spielfilm

Die algerisch-arabische Bezeichnung Papicha lässt sich im Deutschen nicht einfach mit einem Wort wiedergeben. Sie steht für einen Lebensstil, genauer gesagt für ein Frauenbild – für junge, moderne Mädchen, die an ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Freiheit glauben und den Mut haben, diese in einer oftmals feindlich gesinnten Welt auszuleben.

Mounia Meddours erster Langzeitfilm stellt genau so ein Mädchen in das Zentrum der Handlung: Nedjma ist 18, studiert und lebt mit ihren Kommilitoninnen in einem Studentinnen-Wohnheim. Sie träumt von einer Karriere als Modedesignerin und schleicht sich nachts mit ihrer Freundin vom Universitätscampus, um ihre selbstgenähten Kleider in Nachtclubs zu verkaufen.

Die zum Anfang des Films inszenierte, mitreißende Lebensfreude bleibt jedoch nicht lange ungetrübt – „Papicha“ spielt im Algerien der 90er-Jahre, ein Bürgerkrieg erschüttert das Land und islamistische Gruppen versuchen mit allen Mitteln, die Macht an sich zu reißen. Gerade unabhängige, nicht einzuschüchternde und „freizügige“ Frauen sind den Extremisten ein Dorn im Auge: Poster, die die Verhüllung von Frauen zur „Sittenwahrung“ fordern, werden an Wände gekleistert, Wohn- und Lehrräume der Universität immer wieder gestürmt, um der „gelebten Unmoral“ ein Ende zu setzen. Nedjma bleibt ihrer Lebensart zunächst treu, bis eine Katastrophe ihr Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert: eine Fanatikerin tötet ihre Schwester vor der eigenen Haustür. Der Szene, die zum Wendepunkt der Geschichte wird, folgt eine lange Abblende, in der der Zuschauer – ähnlich wie Nedjma – mit dem Schrecken der unvorhersehbaren, gnadenlosen Gewalt allein gelassen wird.

Nedjmas Kämpfernatur bleibt von dem Trauma zwar geschwärzt, aber nicht gebrochen: sie beschließt, trotz aller Risiken und Verbote eine Modenschau mit ihren Entwürfen auf dem Universitätsgelände auf die Beine zu stellen. Bis zum Tag der angesetzten Präsentation folgt Rückschlag auf Rückschlag, Entkräftung auf Entmutigung. Die gezeigten Szenen der fortschreitenden Entrechtung der Frauen, der um sich greifenden Akzeptanz von frauenfeindlichem Gedankengut, von Nedjmas demoralisierendem Kampf und die schiere Aussichtslosigkeit der ganzen Situation wirken nicht nur auf die Heldinnen zermürbend und unendlich frustrierend. Gleichzeitig lassen diese Bilder erahnen, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist und die wahre Eskalation wie eine unheilvolle Gewitterwolke über den Köpfen aller schwebt. Der schockierende Wolkenbruch folgt dann auch auf die erfolgreiche und zunächst befreiend wirkende Modenschau: bewaffnete Islamisten fallen auf den Campus ein und schießen um sich. Nedjma kann dem hektisch wie qualvoll inszeniertem Blutbad entkommen, muss aber einsehen, dass ihre Lage als freidenkende Frau in Algerien augenscheinlich hoffnungslos geworden ist. Trotz allem lässt es sich die Regisseurin nicht nehmen, auf einer hoffnungsvollen Note zu enden: nämlich mit dem Blick auf eine bessere, gerechtere Zukunft.

„Papicha“ ist durch seine gnadenlos voranschreitende Geschichte und den Bezug auf reale Ereignisse durchaus als schmerzhafte Erfahrung zu betrachten; dennoch gelingt es Mounia Meddour, den bitteren Nachgeschmack durch die Darstellung unbegreiflich starker Frauen, die Kraft und unerschöpflichen Lebenswillen aus sich selbst und ihrer gemeinsamen Freundschaft ziehen, abzumildern.

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