Filmkritik: KAÇIŞ (Die Flucht)

von Lisa Stengel

KAÇIŞ (Die Flucht)
Türkei | Deutschland 2016 | Regie: Kenan Kavut | Spielfilm

„Kaçiş“ ist Kenan Kavuts erster narrativer Langfilm; deutlich zeichnen sich die Einflüsse des Dokumentarfilms ab: Weitwinkelobjektiv Aufnahmen von Naturszenerien, in denen Menschen und sogar Menschengruppen klein und verloren wirken, schutzlos ihrer Umwelt ausgeliefert, stehen Zeugnis für Kavuts frühes Schaffen. Mit so einer Szene beginnt der Film, der tiefe Menschlichkeit – gleichzeitig Verbundenheit und Differenz – zeigt.

Cabir ist syrischer Flüchtling, der die türkisch-griechische Grenze am Mariza überqueren möchte. Unverhofft taucht das türkische Militär auf, seine Gruppe zerstreut sich, viele werden gefasst, doch Cabir kann fliehen. Als er auf Sadik trifft, der nachts am Fluss Frösche fängt, und beim Essen dessen Brotzeit überrascht wird, bleibt Cabir in Notwehr keine andere Wahl, als ihn zu erschlagen. Er flieht und findet sich auf dem Hof von Aliye wieder, die ihn zögerlich aufnimmt. Obgleich – oder vielleicht gerade weil – sie keine Sprache teilen und dadurch keine Möglichkeit zur Kommunikation haben, entsteht zwischen den beiden eine Verbindung und ein Vertrauen, dass sie ihre größten Geheimnisse teilen lässt; und nur der Zuschauer alleine weiß: in ihrem Schmerz und Trauma, aus so ungleichen Gründen diese entstanden, finden die beiden wahre Nähe.

„Kaçiş“ begeistert nicht nur mit atemberaubenden, nahezu erhabenen Aufnahmen der Natur und Naturschauspielen – hier fällt vor allem die Rahmung der Handlung durch Gewitter auf – die von seiner Erfahrung als Dokumentarfilmer gezeichnet sind, sondern auch mit ebenso faszinierenden und detailreichen Bildern des Bauernhofes und der Wohnräume sowie perfekt in Szene gesetzten Portrait- und Nahaufnahmen.

„Kaçiş“ ist ein rundes Kinoerlebnis bei dem alles passt: vom emotionalen wie politischen Plot über das fantastische Schauspiel bis hin zur technischen Ausführung steht dieses türkische Werk Hollywood in nichts nach.

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